Und nun? 6 energiepolitische To-dos für die zweite Hälfte der Ampel-Legislatur

Zur Halbzeit der Legislaturperiode stellten wir der Regierung aus SPD, Grünen und FDP ein gemischtes Zwischenzeugnis ihrer bisherigen Energie- und Klimapolitik aus. Aber noch hat die Ampel zwei Jahre Zeit, bisherige Versäumnisse auszugleichen und wichtige Weichen zu stellen. Wir zeigen, welche sechs Baustellen besondere Aufmerksamkeit benötigen

Laut dem Bundesverband Erneuerbare Energie hat die Ampelregierung für die Energiewende zweifellos mehr getan als frühere Regierungen. Sie ist teils aber auch stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben, hat sich schwere handwerkliche und kommunikative Fehler geleistet und manche „heiße Eisen“ der Energiepolitik bislang unberührt gelassen. Das muss sich ändern! Schauen wir also auf darauf, was bis Ende 2025 – oder seien wir ehrlich: bis zum Wahlkampf 2025 – in Sachen Energie und Klima angepackt werden sollte.

1. Strommarkt flexibilisieren

Bis 2030 will Deutschland 80 Prozent seines Stroms erneuerbar erzeugen. Ein ambitioniertes Ziel. Hierfür ist es wichtig, den Zubau weiter zu beschleunigen, die Finanzierung zu sichern vor allem aber den Strommarkt zu flexibilisieren.

Bislang fehlen klare Anreize und Rahmenbedingungen für flexibel steuerbare Erneuerbare wie Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie oder Batteriespeicher. Dabei sind diese – ebenso wie Wasserstoff-Lösungen – essenziell, um als dezentrales Backup für Wind- und Solarenergie zu fungieren. Hier muss die Regierung Sicherheiten schaffen und die lang angekündigte Kraftwerkstrategie vorlegen. Außerdem gilt es, im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem eine tragfähige Weiterentwicklung des Energiemarktdesigns für eine Versorgung mit sehr hohen Erneuerbaren-Anteilen anzugehen.

2. Wasserstoff-Hochlauf planen

Es ist unstrittig, dass Wasserstoff im künftigen Energiesystem eine wichtige Rolle einnehmen wird – ob in Industrie, als Backup bei der Stromversorgung oder in vereinzelten Wärmeprojekten. Die nächsten Jahre entscheiden darüber, ob und wie der Hochlauf gelingt. Hierbei geht es nicht nur darum, schnell Kapazitäten und Infrastruktur aufzubauen, sondern auch konsequent auf grünen, möglichst heimischen Wasserstoff zu setzen. Ein Fokus auf blauen oder importierten Wasserstoff würde neue (fossile) Abhängigkeiten schaffen, dem Klima schaden und sollte entsprechend maximal übergangsweise genutzt werden.

3. Bürokratie weiter abbauen

Wenig bremst die Energiewende so aus wie die regulatorischen Hürden der langjährig gehegten deutschen Bürokratie. Hier hat die Ampel bereits vorgelegt, muss aber auch weiterhin den Abbau der Hemmnisse vorantreiben – und gleichzeitig einen Abbau von Umweltrecht für nicht-nachhaltige Zwecke zu verhindern. Anstehende Gesetzesnovellen auf EU-Ebene müssen genutzt, aber auch neue nationale Rahmenbedingungen und Strategien etwa für Geothermie oder Biomasse auf den Weg gebracht werden. Es gilt die volle Vielfalt der Erneuerbaren Energien nutzbar für die Energiewende zu machen. Auch eine schnellere Digitalisierung der Verwaltung ist für die Energiewende – und generell für eine moderne Administration – unverzichtbar.

4. Grüne Industriepolitik realisieren

Die fossile Energiekrise und die Transformationsherausforderungen verunsichern nicht nur Bürger:innen. Auch Wirtschaft und Industrie beschäftigen sich seit dem russischen Angriffskrieg mehr denn je mit ihrem Energiehaushalt. Unabhängig davon, ob der viel diskutierte Industriestrompreis kommt, der Großverbraucher entlastet: Es braucht klare Kriterien für Dekarbonisierung. Die vom Wirtschaftsministerium auf den Weg gebrachten Klimaschutzverträge könnten hier wesentlich zum Erfolg der Markttransformation beitragen, da mit diesen genau der Umstieg auf klimafreundliche Industrieprozesse angereizt und abgesichert wird.

5. Akzeptanz für Energiewende sichern

Ohne Rückhalt in der Bevölkerung werden die für den Klimaschutz wichtigen Transformationen scheitern. Deswegen ist es essentiell, dass die Ampelregierung ihrem Koalitionsvertrag entsprechend handelt und Bürger:innen weiter entlastet. Das Klimageld ist hierfür ein wesentliches Mittel. Gut umgesetzt könnte es die sozialen Härten der durch den CO2-Preis steigenden Kosten fossiler Energieträger abdämpfen und ein Leben mit möglichst wenig Klimabelastung noch attraktiver machen.

Auch beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren sowie der Stromnetze muss die Akzeptanz in der Bevölkerung gesichert werden. Hierfür sind Beteiligungsoptionen, wie sie von naturstrom beim Bau von Wind- und Solarparks schon gelebt werden, aber auch Belieferungsmöglichkeiten wie Energy Sharing ebenso wichtig wie eine Reform der Netzentgelte, sodass die Kosten des Netzausbaus gerechter verteilt werden.

6. Klimaschädliche Subventionen abbauen

Transformationsprozesse kosten Geld. Auch deshalb scheiterten ambitionierte Vorhaben in der Energiepolitik in den letzten Jahr(zehnt)en nicht selten am bereitgestellten Budget der jeweiligen Ministerien. Politischer Wille ist das eine, finanzielle Spielräume in Zeiten multipler Krisen das andere. Dem Abbau der 65 Milliarden Euro schweren klimaschädlicher Subventionen kommt deswegen in den nächsten Jahren eine besondere Rolle zu. Zum einen würde dadurch nicht länger das alte fossile Energiesystem staatlich gestützt, zum anderen ergäben sich ganz neue finanzielle Möglichkeiten für den Klimaschutz. Da allein die Hälfte der Summe auf den Verkehrssektor entfällt, muss besonders in Volker Wissings Ministerium umgedacht werden, damit sich das Potential frei entfalten kann.

 

Wenn die Ampel auch nur einige dieser Punkte aufnimmt und Reformen anstößt, kann ihre Amtszeit noch eine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte für Energiewende und Klima werden. Jetzt heißt es Anpacken!

Finn Rohrbeck
finn.rohrbeck@naturstrom.de

unterstützt seit Juni 2022 das Presseteam bei naturstrom. Zuvor arbeitete er im Veranstaltungsmanagement der Verbraucherzentrale NRW und beschäftigte sich dort mit den Themen Energie und Energieberatung.

1 Kommentar
  • Waldemar
    Gepostet um 10:19h, 06 November Antworten

    Dem stimme ich voll umfänglich zu

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