Wer ein Haus besitzt, profitiert mit einer Photovoltaikanlage schon heute von günstigem selbsterzeugtem Ökostrom. Für alle anderen war das bisher so nicht möglich, selbst wenn sie beispielsweise im Rahmen einer Bürgerenergiegemeinschaft eigentlich eine Erneuerbare-Energien-Anlage (mit)betreiben. Mit der ohnehin eigentlich längst umzusetzenden Idee des Energy Sharing ändert sich das. Wir erklären, was es damit auf sich hat und wie der Stand ist.
[im Juli 2024 grundlegend aktualisierter Blogbeitrag vom Frühjahr 2023]
Die Grundidee des Energy Sharing ist gleichermaßen alt wie einleuchtend: Wer eine Erneuerbare-Energien-Anlage besitzt, möchte vom günstig erzeugten Strom profitieren oder ihn direkt mit seinen Mitmenschen teilen.
Stimmt: Der Eigenverbrauch ist zwar schon heute möglich, aber eben nur, wenn es sich um eine Anlage auf dem eigenen Grundstück handelt – in aller Regel also die Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach eines Ein- oder Zweifamilienhauses. Doch schon wenn mehrere Parteien in einem Haus wohnen bzw. es besitzen (etwa in einem Mietshaus oder in einer Wohnungseigentümergemeinschaft), wird es komplizierter. Klar, Mieterstrom-Lösungen, wie auch wir sie umsetzen, funktionieren je nach Voraussetzungen. Und mit der sogenannten „Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ wurde im Solarpaket eine neue Möglichkeit etabliert, auch im Mehrparteienhaus möglichst unkompliziert Solarstrom zu nutzen. Doch ganz vorbei ist es mit der Eigennutzung spätestens dann, wenn dieser durch das öffentliche Netz muss. Dann schlagen Lieferantenpflichten, Netzregularien und Marktmechanismen zu. Eine Nutzung etwa von Stromanteilen aus einem Bürgersolar- oder Windpark für die Menschen, die diese Anlagen gebaut haben, ist ziemlich unmöglich – bisher. Denn das Konzept des Energy Sharing eröffnet hier neue Perspektiven.
Energy Sharing: europäisch verankert, in Deutschland überfällig
Die Idee ist überhaupt nicht neu: Sie entstand in den 2000er-Jahren mit dem großflächigen Aufkommen der Erneuerbaren Energien. Und wurde mit der zweiten europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive, RED II), die seit 2016 diskutiert und Ende 2018 verabschiedet wurde, dann auch tatsächlich im EU-Recht verankert. Laut Artikel 22 dieser Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass sogenannte Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften gemeinsam Strom erzeugen und auch verbrauchen können. Diese Anforderung sollte eigentlich bis Mitte 2021 von den einzelnen Mitgliedsstaaten umgesetzt worden sein – was leider hierzulande nicht passiert ist. Immerhin gibt es zuletzt aber einige Aufbruchssignale: Schon im Koalitionsvertrag von Ende 2021 hat sich die aktuelle Ampelregierung verpflichtet, endlich Energy Sharing umzusetzen anzugehen, was sie in einem Entschließungsantrag aus dem Sommer 2022 zur letztjährigen EEG-Reform noch einmal bekräftigt hat.
Um die Umsetzung zu beschleunigen, haben sich die Verbände BEE, Bündnis Bürgerenergie und DGRV sowie einige Unternehmen – unter anderem auch naturstrom – bereits im Frühjahr 2023 zusammengetan und ein konkretes, praxisnahes Regelungskonzept erarbeitet. Leider ist dies trotz an sich wohlwollender Reaktionen aus der Politik weiterhin bis heute nicht etabliert.
Neuen Schwung bringt nun die EU-Strommarktreform, die noch einmal unterstreicht, dass die Mitgliedsstaaten Energy Sharing einführen müssen – und die sogar ein Recht auf Teilnahme an Energy Sharing für Verbraucher:innen einführt. Das setzt nun die deutsche Bundesregierung unter Zugzwang. Immerhin soll nun tatsächlich ein Gesetzesentwurf unter anderem zum Energy Sharing noch im Herbst 2024 beschlossen werden.
Das Energy-Sharing-Konzept der Branchenakteure: Was steht drin?
Das Konzept aus dem Frühjahr 2023 orientiert sich der Einfachheit halber an bestehenden Regularien: Energy Sharing soll für Bürgerenergiegemeinschaften möglich werden, wie sie schon im EEG definiert sind. An einer solchen Gemeinschaft könnten demnach auch Kommunen und kleine Unternehmen mitwirken, der Fokus liegt jedoch auf Bürger:innen in der Region. Bei der geographischen Ausbreitung wurde die Vorlage des Regionalstromregisters genutzt, demnach könnten Menschen bzw. Organisationen in einem Umkreis von 50 Kilometer um das Öko-Kraftwerk den darin produzierten Strom nutzen – sofern sie eben direkt über die Bürgerenergiegemeinschaft an der Anlage beteiligt sind. Ein entscheidender Unterschied zu Anwohnertarifen oder Regionalstromangeboten, die Energieversorger allen Haushalten anbieten, die im entsprechenden Gebiet wohnen.
Eine Energy-Sharing-Prämie für den Energiewende-Mehrwert
Die EU-Richtlinie sieht explizit vor, eine solche direkte, regionale Nutzung von Ökostrom aus eigenen Anlagen besonders zu fördern. Das macht nicht nur wegen der Akteursvielfalt Sinn, sondern auch, weil die regionale Nutzung des Stroms etwa in solchen Energy-Sharing-Gemeinschaften netzentlastend wirken und so Kosten für den Ausbau von Stromtrassen einsparen kann. Für eine solche Förderung sind prinzipiell mehrere Wege denkbar, in Italien gibt es beispielsweise eine Zusatzprämie auf den eingespeisten Ökostrom, in Österreich müssen Energy-Sharing-Angebote nicht die vollen Netzentgelte zahlen. Der Effekt ist in jedem Fall: günstigerer Strom für die Menschen, die den Ausbau Erneuerbarer Energien organisieren.
Für Deutschland schlägt das Verbände-Konzeptpapier eine Prämie für den geteilten Strom vor. Eine Verringerung der Netzentgelte könnte ökonomisch zwar genauso wirken, allerdings gibt es ohnehin viele Reformbestrebungen rund um die Netzentgelte, zudem ist eine klare Prämie auch einfacher und direkt von der Bürgerenergiegemeinschaft administrierbar. Konkret würde es also für jede Kilowattstunde, die gleichzeitig zu der Einspeisung des Ökokraftwerks von der Gemeinschaft verbraucht wird, eine kleine Extraprämie geben.
Um Erzeugung und Verbrauch zu „matchen“, braucht es zeitlich genau aufgelöste Messwerte und damit – ihr ahnt es vielleicht, na klar – Smart Meter. Der Roll-out dieser intelligenten Zähler soll ohnehin beschleunigt werden, Energy-Sharing-Gemeinschaften könnten damit auch zu einer Speerspitze eines digitalisierten Energiesystems werden und schon vor vielen anderen neue Geschäftsmodelle ausprobieren. Und so hätten die Mitglieder dieser Bürgerenergiegemeinschaft auch einen Anreiz, genau dann Strom zu verbrauchen, wenn die eigenen Anlagen laufen – die Energie bliebe also in der Region und die Netze würden entlastet. Die Bürgerenergiegemeinschaft wäre gleichzeitig auch für die Reststrombelieferung verantwortlich, wenn die eigenen Anlagen keinen oder nicht genug Strom liefern. Und auch die Prämienzahlungen würde die Gemeinschaft verwalten – in der Regel wären wohl günstigere Stromtarife das Ziel der ganzen Übung, aber auch andere Energiewende- und/oder soziale Verwendungszwecke wären natürlich denkbar.
Neuentwicklungen beim Energy Sharing mit der EU-Strommarktreform
Die Mitte Juli 2024 in Kraft getretene EU-Strommarktreform bringt nun neue Impulse in die Energy Sharing-Debatte: Neben vielen anderen Neuregelungen wird darin nämlich auch bekräftigt, dass die Mitgliedsstaaten Energy Sharing einführen müssen. Allerdings stärkt die Reform nicht nur die bisherige Verpflichtung, sie bringt auch inhaltliche Weiterentwicklungen.
Neben dem bisherigen Grundgedanken von Energy Sharing im Rahmen einer Energiegemeinschaft soll nämlich nun erstens jede:r Verbraucher:in ein recht auf Energy Sharing erhalten. Und zweitens führt die Strommarktreform auch die Möglichkeit von Teillieferverträgen ein. Wie schon bei der erwähnten Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung soll künftig also möglich sein, zwei (dann netzbezogene) Stromverträge zu kombinieren. Das heißt, ich könnte einen Energy Sharing Vertrag entweder im Rahmen einer Bürgerenergiegemeinschaft oder auch einfach nur für den überschüssigen Solarstrom meines Nachbarn abschließen und kann immer dann die Energie abnehmen, wenn die entsprechenden Anlagen produzieren. Der zweite Vertrag würde dann den Strombezug für die sonstigen Zeiten absichern.
Gute Idee, dieses Energy Sharing! Aber wie geht es weiter?
Energy Sharing in Deutschland ist in jedem Fall längst überfällig! Nach langem Vertrösten soll durch die neuen Verpflichtungen aus der EU-Strommarktreform nun aber endlich ein Gesetzentwurf kommen, der das Thema regelt. Ein Beschluss des Gesetzesentwurfs ist eigentlich bereits für Herbst 2024 angekündigt. Details sind aber noch vollkommen unklar, etwa die Fragen hinsichtlich der regionalen Ausdehnung von Energy Sharing-Modellen oder welchen Pflichten diese unterliegen. Klar scheint nur: eine gesonderte Förderung, die aufgrund der aufwändigeren Prozesse bei der Abrechnung mindestens zur Etablierung von den relevanten Prozessen nötig scheint, wird es angesichts der Haushaltsdebatten nicht geben. Und so könnte der erwartete Gesetzentwurf zwar ein erster wichtiger Schritt zum Energy Sharing werden, der schlussendliche Wegbereiter für eine gemeinschaftliche, dezentrale und bürger:innengetriebene Energieversorgung ist aber wohl leider (noch) nicht zu erwarten.
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Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.