Tiefe Geothermie – Fehlendes Puzzleteil der Energie- und Wärmewende?

Die Preise fürs Heizen steigen durch die fossile Energiekrise in ungeahnte Höhen. Neue Lösungen müssen aber nicht nur erschwinglich, sondern auch nachhaltig sein. Grünen Nah- und Fernwärmenetzen kommt diesbezüglich besondere Bedeutung zu, weshalb sie künftig verstärkt gefördert werden. Die bereits bestehenden Netze versorgen schon heute etwa zehn Prozent der Gebäude in Deutschland mit Wärme, werden in der Regel jedoch noch durch fossile Anlagen gespeist. Die Antwort, wie nicht nur neue, sondern auch bestehende Netze klimafreundlich versorgt werden können, liegt für manche auf der Hand – oder eher unter den Füßen: Tiefe Geothermie. Was es mit dieser Art der Erdwärmenutzung auf sich hat und warum sie bislang kaum eine Rolle in der deutschen Energiewende gespielt hat, liest du hier.

Wer Geothermie sagt, muss auch Island sagen, so scheint es zumindest, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Und das mit gutem Grund: Der eisige Inselstaat ist absoluter Vorreiter auf dem Gebiet und gewinnt einen Großteil seines Stroms und 90 Prozent seiner Wärme aus geothermischen Anlagen. Diese nutzen die aus dem Erdinneren aufsteigende Hitze, welche durch die seismische Aktivität unter der Vulkaninsel teils bis an die Oberfläche dringt. Doch das geothermische Potential beschränkt sich nicht allein auf die Regionen der Welt, die wie Island an den Grenzen tecktonischer Platten liegen. Auch wir in Mitteleuropa können die schier endlose Energie aus der Tiefe nutzen – nur ist es hier etwas aufwendiger.

Die Tiefe macht die Wärme

Aber nochmal kurz zurück zu den Basics: Mit Geothermie entzieht man unterirdischen Erd- oder Gesteinsschichten Energie, die von der Tiefe der Bohrungen abhängig ist – je tiefer, desto wärmer. In Mitteleuropa steigt die Temperatur durchschnittlich etwa um 3 Grad Celsius pro 100 Meter, weshalb sich Geothermie grundsätzlich in zwei Arten unterteilen lässt.

Wenn Erdwärme aus einer Tiefe von bis zu 400 m genutzt wird, spricht man von Oberflächennaher Geothermie. Das Temperaturniveau in diesen Bereichen ist zwar relativ konstant, reicht jedoch noch nicht zum Heizen. Daher kommen Wärmepumpen zum Einsatz, mit deren Hilfe dann der Wärmebedarf einzelner Häuser, Industriegebäude oder ganzer Quartiere klimafreundlich gedeckt werden kann.

Bei der sogenannten Tiefen Geothermie hingegen reichen die Bohrlöcher bis zu 7 km ins Erdreich hinein zu wasserführenden Schichten, die bis zu 180 Grad warm sein können. Über einen geschlossenen Kreislauf wird das dortige Thermalwasser an die Oberfläche transportiert, wo es seine Wärme an Wärmetauscher eines Geothermiekraftwerks abgibt, bevor es zurück ins Erdreich gepumpt wird. Die so gewonnene Energie reicht hierbei aus, um ganze Stadtviertel mit Heizenergie zu versorgen und bei besonders hohen Temperaturen kann sogar emissionsfrei Strom produziert werden.

Während die Oberflächennahe Geothermie bereits vergleichsweise weit verbreitet ist und gerade in vielen Privatgebäuden, aber auch in innovativen Industrie- oder Quartiersprojekten Anwendung findet, sind tiefengeothermische Anlagen noch eine Seltenheit in Deutschland. Kosten, Aufwand und nicht zuletzt die Geologie beschränkten den Ausbau hierzulande bislang auf wenige Dutzend Anlagen. Allerdings könnten sie durch ihre enorme Leistungsfähigkeit und ihre emissionsfreie Funktionsweise einen wesentlichen Teil zur Dekarbonisierung bestehender und neuentstehender Wärmenetze beisteuern. Ein großer Vorteil der geothermalen Energiegewinnung liegt in ihrer Verfügbarkeit: anders als andere Energien steht sie nämlich jederzeit unabhängig von Wetter, Tages- oder Jahreszeit unbegrenzt zur Verfügung. Warum also wurde das Potential der Erdwärme hierzulande noch nicht ausgeschöpft?

Geologische Hürden und Risiken

Im Gegensatz zu Island machten die geologischen Gegebenheiten den ambitionierten Plänen von Geothermie-Pionieren in Deutschland in der Vergangenheit regelmäßig einen Strich durch die Rechnung. Zwar gibt es einige Regionen in Norddeutschland, Bayern oder Baden-Württemberg, in denen große unterirdische Wärmereservoire mit vergleichsweise wenigen Problemen angezapft werden können, doch das sind die Ausnahmen. Liegen – wie in vielen Regionen in Deutschland – keine solchen wasserführenden Schichten vor, muss erst das heiße Gestein in mehreren Kilometern Tiefe aufgebrochen werden, um dann unter hohem Druck kaltes Wasser in die künstlich geschaffenen Risse pressen zu können. Fortgeschrittene Erkundungsverfahren ermöglichen zwar relativ sichere Annahmen über die geologischen Beschaffenheiten, doch insbesondere Bohrungen in tiefere Erdschichten, wie sie für die geothermische Stromerzeugung notwendig sind, bergen Unsicherheiten. So konnten in Baden-Württemberg, Basel und Straßburg kleinere Erdbeben auf geothermische Tiefenbohrungen zurückgeführt werden, was das Ende der geothermischen Projekte nach sich zog.

Strom nein, Wärme ja

Heißt das nun, die Nutzung der geothermischen Energie aus der Tiefe ist in Deutschland schlicht nicht im großen Stil möglich? Nicht ganz. Für die Stromerzeugung mag diese Aussage zwar stimmen und mit nur einem Promilleanteil am deutschen Strommix ist Geothermie diesbezüglich tatsächlich zu vernachlässigen – wirtschaftlich könnte sie wahrscheinlich ohnehin nicht mit günstigem Sonnen- oder Windstrom mithalten. Anders sieht es jedoch hinsichtlich der geothermischen Wärmegewinnung aus. Diese hat den großen Vorteil, dass sie nur eine vergleichsweise geringe Tiefe von anderthalb bis zwei Kilometer braucht, was geologische Untersuchungen und Bohrungen vereinfacht sowie die Gefahr seismischer Auswirkungen deutlich verringert. Verglichen mit dem knappen Dutzend stromliefernder Anlagen zeigen die 30 geothermischen Wärmekraftwerke, dass sich Investitionen in tiefe Erdwärme auch in Deutschland lohnen können – zumindest, wenn es um Wärme geht.

Perspektive für klimaneutrale Wärmenetze

Um das Potential der Geothermie für die Wärmewende aber wirklich voll auszuschöpfen, muss noch einiges geschehen – vor allem bezüglich der Rahmenbedingungen. Die im Koalitionsvertrag angekündigten – aber noch nicht umgesetzten – Förderungen und ökonomischen Absicherungen von geothermischen Projekten sind laut Geothermie-Branche ein Schritt in die richtige Richtung, werden allein aber nicht ausreichen. Es brauche ähnlich wie bei Wind- und Solarparks beschleunigte Genehmigungsprozesse, gesetzliche Regelungen, die den Vorrang grüner Fernwärme bei der Speisung der Wärmenetze festschreibt und flächendeckende Untergrunderkundungen zur Potentialanalyse.

Zwei wesentliche Herausforderung der Tiefen Geothermie bleiben jedoch auch bei verbesserten gesetzlichen Rahmenbedingungen bestehen: Zum ersten ist jedes tiefengeothermisches Projekt ein Unikat und bedarf aufwändiger geologischer Gutachten und Untersuchungen, die zu langen Realisierungszeiträumen führen und zum zweiten muss oft zunächst Vertrauen zurückgewonnen werden, das in den letzten zwei Jahrzehnten bei Investor:innen, Kommunen und Bürgerschaften verspielt wurde. Insbesondere die Erdbebenereignisse infolge von Tiefenbohrungen haben den Ruf der Technik geschädigt und Investitionen einbrechen lassen.

Unbestritten bleibt jedoch, dass die Tiefe Geothermie mittel- und langfristig auch in Deutschland ihren Teil zu Energiewende und Klimaschutz beitragen kann – insbesondere hinsichtlich der Wärmegewinnung in Ballungsräumen. Aktuelle Forschungsergebnisse des Geoforschungszentrums in Potsdam und der Frauenhofer-Gesellschaft schätzen, dass innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte rund ein Viertel des Gesamtwärmebedarfs durch Geothermie gedeckt werden kann. Und das sogar kostengünstig, denn trotz hoher Investitionskosten ist die Erdwärme mit 30 bis 50 Euro pro Megawattstunde um ein Vielfaches günstiger als die heutigen etwa 200 Euro pro Megawattstunde Gas.

So bieten Oberflächennahe und Tiefe Geothermie eine wirkliche Perspektive für die künftige emissionsfreie Speisung deutscher Nah- und Fernwärmenetze.

Finn Rohrbeck
finn.rohrbeck@naturstrom.de

unterstützt seit Juni 2022 das Presseteam bei naturstrom. Zuvor arbeitete er im Veranstaltungsmanagement der Verbraucherzentrale NRW und beschäftigte sich dort mit den Themen Energie und Energieberatung.

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