Negativrekorde beim Windenergie-Zubau, Entlassungen bei Herstellern und Projektierern und ein Windgipfel, der keinerlei konkrete Ergebnisse brachte. Auf der anderen Seite eine hohe gesellschaftliche Unterstützung für Klimaschutz, nicht zuletzt dank der Friday-for-Future-Bewegung, ein wachsender Bedarf an Ökostrom auch für Wärme und Verkehr und eine Bundesregierung, die grundlegende Weichenstellung in Richtung Energiewende ankündigt. Die Ausgangslage der HUSUM Wind hätte im Jahr 2019 kaum zwiespältiger sein können. Und so gemischt die Rahmenbedingungen der deutschen Windmesse waren, so ambivalent fällt auch das Fazit aus.
Zunächst: Ich bin das erste Mal auf der HUSUM Wind und kannte die Messe bis dahin nur aus Erzählungen, in denen von einer Unmenge an Kontakten, entscheidenden Innovationen und legendären Partys, das Ganze eingebettet in eine ländlich-dörfliche Atmosphäre, die Rede war. Der erste Eindruck ist deutlich nüchterner: Nach einer stundenlangen Zugfahrt komme ich an einem Kleinstadtbahnhof an und ich frage mich, wie an einer solchen Örtlichkeit eine Technologiemesse entstehen konnte, die in ihren besten Jahren internationale Ausstrahlung hatte. (Inzwischen gibt es eine Arbeitsteilung mit der Hamburger Messe, deren Windveranstaltung sich auf den internationalen Markt konzentriert, während sich in Husum vor allem um die innerdeutschen Entwicklungen gekümmert wird.) Nachdem mich der Shuttlebus auf das etwas vor den Toren der Stadt gelegene Messegelände gebracht hat, steigt die Achtung wieder. Die zwei vorhandenen festen Messegebäude sind durch vier große Zelthallen ergänzt, eine Vielzahl der großen und kleinen Namen der Windindustrie ist vor Ort und das Publikum ist an dem Mittwochmorgen, an dem ich anreise, zahlreich.
Dabei hätten die äußeren Rahmenbedingungen für die Messe kaum schlechter sein können: Entgegen aller Klimaschutzdiskussionen wurden im ersten Halbjahr 2019 so wenige neue Windenergieanlagen zugebaut wie noch nie in diesem Jahrtausend, was sich natürlich auch auf die Unternehmen der Branche auswirkte. Die Insolvenz von Senvion vom Anfang des Jahres 2019 war dabei nur das augenfälligste Beispiel der wirtschaftlichen Herausforderungen. Auch vielen anderen Unternehmen hat der geringe Zubau in den vorangegangenen Monaten zu schaffen gemacht, was Auswirkungen bis hin zu Stellenstreichungen bei den Herstellern und Projektierern nach sich zog. Die Politik, die durch Fehler im Ausschreibungsdesign und destruktive Akzeptanzdiskussionen mindestens mitverantwortlich für die Fehlentwicklungen in dem Sektor ist, hatte nach langem Nichtstun immerhin die Dringlichkeit der Lage erkannt und in der Woche vor der Messe noch flugs zu einem Windenergiegipfel geladen – welcher allerdings ohne konkrete Ergebnisse blieb und daher von dem NATURSTROM-Vorstandsvorsitzenden Dr. Thomas E. Banning als „energiepolitischer Offenbarungseid“ eingeordnet wurde.
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage ist auf den Ständen und Gängen der Messe keineswegs Resignation zu spüren, auch wenn die Hallen in vergangenen Jahren wohl noch voller waren. Eher macht sich eine „Jetzt erst recht“-Stimmung breit – trotz aller Schwierigkeiten nicht unbegründet, da die Windenergie als die Erneuerbaren-Technologie mit dem größten Potenzial zur Ökostromerzeugung und als heute schon wichtigster Energieträger im deutschen Strommix ein unbedingter Teil der angekündigten verstärkten Klimaschutzmaßnahmen sein muss. Und so zeigte sich die Windbranche in ihrer ganzen Vielfältigkeit und Innovationskraft: Technologisch war vom Bolzenhersteller über Anbieter von Getriebeölen und Kabeln in allen Dimensionen bis hin zu kompletten Anlagenproduzenten alles vertreten, was eine Windenergieanlage ausmacht. Auch technische Lösungen auf gesellschaftliche Probleme, etwa zur Geräuschverminderung der Anlagen oder für das nur bedarfsweise Anschalten der Warnlichter, waren vor Ort. Längst ist die Windenergie aber auch ein Tummelplatz für Dienstleistungsanbieter, entsprechend waren auch Planer, Finanzierer, Versicherer und Vermarkter vielfältig vertreten.
Ein Schwerpunktthema 2019 waren Nachnutzungskonzepte für Anlagen, die aus dem EEG fallen. Ein drängendes Thema, da ab 2021 bei einer Vielzahl an Anlagen die Förderung ausläuft und die von ihnen erzeugte Ökostrommenge daher fehlen könnte. Eine Weiternutzung wann immer möglich wäre daher nicht nur klimapolitisch geboten, sondern auch ökonomisch sinnvoll: In den folgenden fünf Jahren könnten bei einem Weiterbetrieb 1,6 Milliarden Euro gegenüber dem Bau neuer Anlagen eingespart werden. Auch NATURSTROM bemüht sich daher in diesem Segment und bietet Betreibern solcher Altanlagen ein umfangreiches 360°-Angebot: Durch die Beteiligung an den Unternehmen StiegeWind und wind 7 reicht das Leistungsspektrum von Wartung und Service über die Betriebsführung bis hin zur Direktvermarktung des erzeugten Stroms, mit welchem NATURSTROM dann wiederum direkt die eigenen Kundinnen und Kunden beliefert.
Dieses Thema wurde allerdings nicht nur am eigenen Stand in Gesprächen und Vorträgen debattiert, unser Vorstand Oliver Hummel und Vertriebskollege Jens Tuckermann informierten etwa auch auf einer Workshop-Fläche der Agentur für Erneuerbare Energien zu den Möglichkeiten der Direktvermarktung.
Gerade weil die Vermarktung von Windstrom außerhalb des EEGs noch Neuland ist, erfordert diese viele vorbereitende Besprechungen. Es wundert daher nicht, dass konstant ein flirrendes Grundrauschen laufender Gespräche in der trockenen Messeluft liegt. Nicht alles ist dabei nur Businesstalk, ganz oft geht es auch um die Pflege neuer und alter Kontakte. Überhaupt hat man das Gefühl, die Messe ist ein großes Klassentreffen – hier ein schnelles Händeschütteln, dort ein kurzer Flachs zwischen alten Bekannten und ganz oft große Wiedersehensfreude – nicht zuletzt auch bei einem Krabbenbrötchen in der Mittagspause oder einem kühlen Getränk an einer der vielen Standpartys, welche auch nach der offiziellen Messeschließung für belebte Gänge und beschwingte Gespräche sorgten.
Und so packt auch mich noch das vorher viel beschriebene Husum-Gefühl, diese Mischung aus ländlicher Verankerung und internationaler Perspektive, aus ernsthaften Vertragsgesprächen und angeregten Debatten über Gott und die Welt mit alten Bekannten genauso wie mit Menschen, die man gerade erst kennengelernt hat. Ich würde also wiederkommen – und hoffe daher, dass unser Energiesystem die notwendigen Rahmenbedingungen zur schnellen Transformation bekommt und damit auch die Windenergie neue Perspektiven erhält. Nicht zuletzt, damit 2021 die Windwelt wieder zu Gast in Husum ist.
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