Deutschlands Atomausstieg – eine zum Glück nicht unendliche Geschichte

Aus und vorbei: Ab heute ist Deutschland raus aus der Atomenergie. Damit endet ein 60 Jahre andauerndes Kapitel, das geprägt war von Hoffnung, Angst, Ungeduld – und sehr vielen Debatten. Was der nun vollzogene Atomausstieg für die Energieversorgung hierzulande bedeutet und welchen Stellenwert die umstrittene Energiequelle zuletzt hatte, lest ihr hier.

Achtung, es folgt eine gegebenenfalls durchaus steile These: Atomenergie ist niemandem egal. Entweder man feiert ihren Abschied oder wird sie schmerzlich vermissen, weil man in ihr die Lösung aller Energie- und Klimaschutzprobleme sieht. Eine Meinung dazwischen? Zumindest in den medialen Debatten oder auf Twitter kaum vorhanden.

Wenig überraschend steht naturstrom auf der Seite derjenigen, denen das Abschalten gar nicht schnell genug gehen kann. Schließlich verfolgen wir seit jeher die Vision von 100 Prozent Erneuerbaren Energien und sind daher seit unserer Gründung vor genau 25 Jahren für das Abschalten von Atom- UND Kohlekraftwerken angetreten. Der Atomausstieg am 15. April 2023 ist damit fast so etwas wie ein verfrühtes erstes Geburtstagsgeschenk für unser morgiges Unternehmensjubiläum.

Denn nicht nur können wir nun zumindest für Deutschland dieses Kapitel einer sehr risikoreichen Technologie schließen, auch für den weiteren Erneuerbaren-Ausbau ist das eine gute Nachricht. Warum das so ist, erklären wir weiter unten. Anfangen wollen wir aber mit der Geschichte der Atomenergie in Deutschland – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ein kurzer Abriss der Atomenergie in Deutschland

Das erste kommerzielle deutsche Kraftwerk ging 1960 im bayrischen Kahl nahe der hessischen Landesgrenze ans Netz. Bis zu seiner Abschaltung 1985 hat das Versuchskraftwerk Kahl am Main 2,0 Terawattstunden Strom produziert.

Der vollständige Rückbau des Kernkraftwerks Kahl erfolgte zwischen 1988 und 2010, heute erinnert lediglich eine alte Turbine an das ehemalige AKW.

Mit mehr als 380 TWh ging Ende 2021 das AKW Grohnde vom Netz, das bis heute den meisten Atomstrom in Deutschland produziert hat.

Der erste deutsche Atomausstieg wurde 2000 von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder vereinbart, in dessen Folge 2003 das AKW Stade mit 640 MW Leistung und 2005 das AKW Obrigheim mit 340 MW endgültig abgeschaltet wurden. Statt fixer Abschalttermine wurden für alle verbliebenen AKW feste Reststrommengen vereinbart, was je nach Kraftwerk einen Weiterbetrieb bis ungefähr2020 bedeutet hätte, allerdings abhängig von der Betriebsweise.

Unter der von Kanzlerin Merkel geführten schwarz-gelben Bundesregierung wurde 2010 zunächst eine Laufzeitverlängerung für die verbliebenen 17 AKW beschlossen: Die vor 1980 in Betrieb gegangenen sollten zusätzliche acht Jahre in Betrieb bleiben, die übrigen zusätzliche 14 – und dann passierte die Reaktorkatastrophe von Fukushima.

Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag mit 513 von 600 Stimmen und damit in einem breiten parteiübergreifenden Konsens daraufhin den vorgezogenen Atomausstieg. Acht AKWs verloren kurzfristig ihre Betriebserlaubnis; die Laufzeiten der verbliebenen neun wurden so gestaffelt, dass das Letzte Ende 2022 vom Netz gehen sollte – doch dann kam der Februar 2022 und brachte die deutsche Energieplanung etwas durcheinander …

Warum gab es überhaupt eine Laufzeitverlängerung?

Die Verlängerung des Betriebs der Atomkraftwerke war von Anfang eine reine Vorsichtsmaßnahme. Zur Erinnerung: Der Herbst 2022 war sowohl politisch als auch gesellschaftlich von Sorgen vor einer Energieknappheit in Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geprägt. Die Ampelregierung rund um Bundeswirtschaftsminister Habeck beschloss daraufhin, die drei noch laufenden Atomkraftwerke AKWs Isar/Ohu 2, Emsland und Neckarwestheim 2 mit einer Gesamtnettoleistung von über 4.000 MW über den Winter maximal bis zum 15. April 2023 am Netz zu lassen – allerdings „nur“ in einem Streckbetrieb; neue Brennstäbe wurden bewusst nicht gekauft.

Wirklich notwendig wäre diese Zusatzleistung zwar nur unter sehr ungünstigen Bedingungen gewesen – aber man wollte sich die Option eben nicht nehmen lassen. Größter Risikofaktor war dabei neben der Gas-Verfügbarkeit übrigens der Zustand der französischen AKW-Flotte, die schon im Sommer 2022 mit erheblichen Problemen zu kämpfen hatte und die auch im risikoreichen Winter 2022/23 längst nicht vollständig am Netz war. Daher musste viel Leistung für einen potentiellen Stromexport nach Frankreich eingeplant werden; den rein deutschen Energiebedarf konnte der hierzulande bestehenden Kraftwerkspark ziemlich sicher abdecken.

Im Nachhinein und nach einem zugegebenermaßen sehr milden und damit energiewirtschaftlich bequemen Winter kann man festhalten, dass der Streckbetrieb tatsächlich nicht nötig war. Ein Grund mehr, sich guten Gewissens von der Atomkraft zu verabschieden.

Jetzt aber wirklich: Deutschlands Atomausstieg

Ein Kernkraftwerk schaltet man nicht mal eben so ab. Stattdessen muss die Reaktorleistung nach und nach abgesenkt werden, indem die sogenannten Steuerstäbe im Reaktorkern Stück für Stück eingefahren werden. Erst dann kann der Generator vom Stromnetz genommen und der Reaktor komplett abgeschaltet werden.

Danach beginnt die eigentliche Arbeit – denn die hochradioaktiven Brennelemente müssen entfernt und in sogenannten Castorbehältern in eins von aktuell 16 deutschen Zwischenlagern überführt werden. Und neben den Brennstäben muss sich natürlich auch um die nun überflüssigen Kraftwerke selbst gekümmert werden. Bis das AKW-Gebäude nicht mehr verstrahlt ist und komplett zurückgebaut werden kann, vergehen allerdings Jahrzehnte.

Warum ist der Atomausstieg auch für den weiteren Erneuerbaren-Ausbau eine gute Nachricht?

Auch wenn das Atomenergie-Aus für manche abrupt kommen mag – schnell geht bei Atomenergie so gar nichts. Angefangen bei zahlreichen, langjährigen und bundesweiten Anti-AKW-Debatten. Aber auch im Betrieb wird die lähmende Trägheit dieser überkomplexen Großtechnologie deutlich: Bis ein AKW heruntergefahren ist, vergehen gut und gerne ein paar Stunden – flexibel ist anders. Mal eben zum Feierabend den Schalter umlegen? Unmöglich. Stattdessen braucht es einen langen und gut koordinierten Prozess. Das gilt nicht nur für den jetzigen endgültigen Abschied, sondern auch im Regelbetrieb. Und diese nur eingeschränkte Manövrierfähigkeit ist auch der Grund, warum sich Atomenergie – übrigens genau wie Kohlekraftwerke – nicht unbedingt als Ergänzungstechnologie für die Erneuerbaren Energien eignet.

Ein Energiesystem mit viel Wind- und Solarstrom muss sehr dynamisch sein, um sich schnell an sich ändernde Einspeisebedingungen anpassen zu können. Diese Flexibilität kann man etwa durch Speicher, gesteuerte Verbraucher oder auch Gas-bzw. Wasserstoffkraftwerke erreichen – aber ganz bestimmt nicht durch langsame Atomkraftwerke. Kein Wunder also, dass kaum regelbarer Atomstrom in der Vergangenheit immer mal wieder Netze verstopft und den Transport von Ökostrom verhindert hat. Die Folge: Gerade Windparks im Norden mussten abgeschaltet werden. Zwar braucht es auch weiterhin regelbare Leistung als Back-up zum fluktuierenden Sonnen- und Windstrom, aber eben schnell regelbare Leistung.

Der heutige Atomausstieg ist daher auch ein Gewinn für die Energiewende – und zwar ein riesiger.

Hätten die Atomkraftwerke nicht beim Klimaschutz helfen können?

Nein.

Mehr Kontext? Bitte sehr: Zwar wird immer wieder behauptet, Atomenergie sei der Gamechanger in Sachen Klimaschutz, doch sind CO2-Emissionen aus Kraftwerken ohnehin durch den europäischen Emissionshandel gedeckelt.

Selbst wenn durch Atomausstieg und vermeintliche Energieknappheit nun kurzfristig mehr Kohlestrom gebraucht wird, zehrt diese Kohleverbrennung nur die ohnehin begrenzten CO2-Zertifikate weiter aus. Damit wird Kohlestrom europaweit schneller teurer und der endgültige Ausstieg auch aus dieser Technologie muss dafür umso früher geschehen.

Und was bleibt?

Leider noch eine ganze Menge – und zwar Atommüll. Das bedeutet noch sehr viel Zeit und Geld, die uns die Nachwirkungen der Atomkraft kosten werden – und das, ohne dass wir irgendeinen weiteren Nutzen davon haben. Hier geht‘s sowohl um den Rückbau der Kraftwerke als auch um die Endlagerung des radioaktiv verstrahlten Materials. Für hochradioaktive Abfälle haben wir übrigens trotz nun mehr als 60 Jahren Nutzungsgeschichte noch immer kein Endlager hierzulande.

Weltweit ist man da einen Schritt weiter – wenn auch einen winzig kleinen: Denn in Finnland nimmt demnächst das erste Endlager überhaupt seinen Betrieb auf. In Deutschland kümmert sich seit 2017 eine Bundesgesellschaft um die Suche, nachdem bisherige Versuche gescheitert waren – übrigens nicht zuletzt deshalb, weil auch Bundesländer mit besonders starker Atomkraft-Nutzung ein Endlager auf eigenem Boden kategorisch ausgeschlossen haben.

Aber genau wie bei Atomenergie allgemein gilt auch hier: Flexibel ist anders. Deshalb wird die Entscheidung für einen Standort frühestens für die 2040er-Jahre erwartet, vom Bau des Endlagers und der Einlagerung des hochradioaktiven Materials ganz zu schweigen. Allein mit den bisher selbst erschaffenen Problemen der Atomenergie werden wir uns also noch einige Jahrzehnte herumschlagen müssen.

Umso besser also, dass wir das Entsorgungsproblem durch den Kauf neuer Brennstäbe Ende 2022 nicht noch vergrößert haben und nun endgültig sagen können: auf Nimmerwiedersehen, deutsche Atomkraft.

Sven Kirrmann
sven.kirrmann@naturstrom.de

Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.

1 Kommentar
  • Sylvia Damaschke
    Gepostet um 08:37h, 15 April Antworten

    Was wäre besser ? Erst Kohleabbau zu beenden und dadurch nicht nur Orte vor dem abreißen schützen sondern auch die Umweltverschmutzung zu beenden oder die Atomkraftwerke, wie jetzt.

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