„Alleinerziehend zu sein bedeutet das höchste Armutsrisiko in Deutschland“ – der Energie-Soli für Solo-Eltern

Die Folgen der Energiekrise treffen alle – wenn auch mit unterschiedlicher Härte. Weil sie finden, dass die politischen Maßnahmen die unterschiedlichen Lebens- und Einkommenssituationen ignorieren, haben die Stiftung Alltagsheld:innen und der Verein Fair für Kinder e.V. den Energie-Soli ins Leben gerufen.

Mit uns sprach Heidi Thiemann, geschäftsführende Vorständin der Stiftung, über die Hintergründe, Notwendigkeit und was sie sich von Entscheider:innen wünscht.

Was ist die Idee hinter dem Energie-Soli?

Heide Thiemann: Die Krisenhilfen der Bundesregierung sind nicht gut durchdacht. Sie gehen oft an jenen vorbei, die sie dringend bräuchten, und landen teils bei jenen, die sie eigentlich nicht nötig haben. Erwerbstätige Paare mit einem Kind im gemeinsamen Haushalt erhielten zum Beispiel die Energiepauschale im September doppelt. Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern bekam sie nur einmal, obwohl ebenso drei Menschen Energie verbrauchen und dafür nur ein Gehalt vorhanden ist.

Dieses Gießkannenpolitik wollen wir anprangern und gleichzeitig eine zivilgesellschaftliche Umverteilung organisieren. Wer die Energiepauschale oder Gaspreis-Entlastungen der Bundesregierung nicht braucht, wandelt sie als Spende in einen Energie-Soli für Solo-Eltern um. Bisher haben sich schon viele Einzelpersonen daran beteiligt und wir freuen uns sehr, dass naturstrom diese Aktion auch aktiv unterstützt.

„Die Ungleichbehandlung von Alleinerziehenden muss beendet werden.“ © Julia Nohr

Warum sind gerade Solo-Eltern besonders betroffen?

HT: 20 Prozent aller Familien in Deutschland sind alleinerziehende Familien. Wer alleinerziehend ist, ist oftmals auch genau das: allein. Sorgen und Kosten, die sich sonst ein Elternpaar teilt, müssen von einer Person gestemmt werden. Alleinerziehend zu sein bedeutete schon vor der Coronapandemie und der gegenwärtigen Krise das höchste Armutsrisiko in Deutschland.

Die Politik tut viel zu wenig, um dieser Schieflage entgegenzuwirken. Im Gegenteil: Alleinerziehende Eltern werden oft zusätzlich diskriminiert, weil familien- oder steuerpolitische Maßnahmen nicht oder nur bedingt bei ihnen ankommen. So erreicht die aktuelle Kindergelderhöhung weder Solo-Eltern im SGB-II-Bezug noch diejenigen, die staatlichen Unterhaltsvorschuss erhalten. In beiden Fällen wird das Kindergeld vollständig von den staatlichen Leistungen abgezogen. Die viel gepriesene inflationsbedingte Anpassung von familienpolitischen Leistungen kommt bei vielen von ihnen gar nicht an.

Nicht jeder ist dazu in der Lage, finanziell zu helfen. Welche anderen Möglichkeiten gibt es, Solo-Eltern im Bekanntenkreis zu unterstützen?

HT: Alleinerziehende sind hochorganisiert und leben einen sehr eng getakteten Alltag. Weil sie alles allein bewältigen müssen, bleibt meist kein Raum für sich selbst, um einmal Kraft zu tanken und auszuruhen. Da ich selbst lange Zeit alleinerziehend war, weiß ich wie froh ich war, wenn Freund:innen etwas mit meinen Kindern unternommen haben. Das gab mir kleine Zeit-Inseln, um mal einen relaxten Nachmittag zu haben, Sport zu machen und Kraft zu tanken.  Am besten fragen Sie Ihre alleinerziehende:n Freund:in, was sie am meisten entlasten könnte und besprechen Sie offen, was für Sie machbar ist. Für mich waren es die regelmäßigen kleinen Freundschaftsdienste, auf die ich mich verlassen konnte, die mir wirklich geholfen haben. So hat eine befreundete Nachbarin einmal die Woche für uns mitgekocht. Ich habe mich schon immer auf den Tag gefreut und kleine Aktivitäten für mich oder mit den Kindern geplant, weil ich nach der Erwerbsarbeit weniger gestresst war.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

HT: Dass alleinerziehende Familien endlich als gleichwertige Familien anerkannt und diskriminierende Strukturen abgebaut werden. In der Politik stehen verschiedene Vorhaben an, die dabei helfen könnten. So wurde im Koalitionsvertrag die Kindergrundsicherung als großes Projekt der Ampel angekündigt. Diese hätte je nach Ausgestaltung die Chance, Kinderarmut endlich zu verhindern. Denn Kinder in Ein-Eltern-Familien sind am häufigsten von Kinderarmut betroffen.

Faire Besteuerung ist eine weitere große Baustelle: Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde aktuell zwar um 252 Euro pro Jahr erhöht. Das bildet aber bei weitem nicht die derzeitigen Kostensteigerungen im Monat ab. Solange selbst kinderlose Ehepaare dank Ehegattensplitting bei gleichem Einkommen deutlich weniger Steuern zahlen als Alleinerziehende, haben wir eine klare Benachteiligung. Die angekündigte Steuergutschrift für Alleinerziehende könnte hier Abhilfe schaffen – sofern diese sich auf dem Niveau des Splittings bewegt.

Außerdem sollte die Ungleichbehandlung der Alleinerziehenden, die Unterhaltsvorschuss anstelle von regulärem Unterhalt bekommen, beendet und das Kindergeld wieder nur halb, statt voll abgezogen werden.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Thiemann.

Jetzt Energie-Soli spenden

Kinder als Armutsfaktor? Das darf nicht sein! Also lasst uns alleinerziehenden Eltern in der Krise helfen und gemeinsam die Gießkannenpolitik umwandeln, damit die Unterstützung in diesem Winter dort ankommt, wo sie gebraucht wird.

Mehr dazu erfahrt ihr auf der Website des Energie-Soli.

Titelbild: Melanie Ferreira Caetano

Dominique Czech
dominique.czech@naturstrom.de

ist seit April 2018 dabei und schreibt für naturstrom über alles rund um die Energiewende. Jenseits des Büros bewegen sie die Themen Ernährung, Konsum und Mobilität – aber bitte in nachhaltig.

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