16 Nov 2022 „Wir sind als naturstrom das lebende Beispiel“
Eine Wagenladung Einstandskuchen, unzählige Einzelgespräche und das erste Teams-Meeting mit mehr als 200 Kolleg:innen – kein Zweifel, Sophia Eltrop ist als neue Vorständin bei naturstrom nun richtig angekommen. Seit Anfang Oktober verantwortet sie das Ressort Finanzen, Personal und IT. Im Bloginterview spricht sie über ihr Herz für Mehrfamilienhäuser, Lehrjahre im Wirtschaftsministerium und Fridays for Future.
Sophia, wie geht es dir nach einem Monat bei naturstrom?
Ich bin begeistert, wie freundlich und offen ich von allen hier empfangen worden bin. Ich habe Einblicke in unheimlich viele Arbeitsbereiche erhalten, mir schwirrt noch ganz der Kopf. Was mir besonders aufgefallen ist: Es herrscht ein sehr entspannter, freundlich-authentischer Umgangston bei naturstrom. Das habe ich in dieser Form in meiner Karriere noch nicht erlebt. Dieses unkomplizierte Miteinander ist ein absoluter Pluspunkt, den sich naturstrom auf jeden Fall erhalten muss.
Deinen Berufseinstieg hattest du Mitte der 1990er beim Bundeswirtschaftsministerium. Dort wird aktuell unter hohem Druck geackert, um der Inflation und der Energiekrise Herr zu werden. Bist du froh, dir das jetzt von außen anschauen zu können?
Ach, wieso? Das ist ja eine unheimlich spannende Themenlage. Aber mal im Ernst: Mitte der 1990er war die Lage am Arbeitsmarkt noch eine ganz andere, nach der Wendeeuphorie kamen erst einmal ziemlich zähe Jahre. Ich hatte nach meinem VWL-Studium also einfach die erste Gelegenheit beim Schopf ergriffen und bin so im Ministerium gelandet. Da habe ich dann eine Menge gelernt über Geld- und Finanzmärkte – und natürlich auch über die Abläufe in solch einem Apparat.
Danach bist du zu einer Bank gewechselt, für die du Projektfinanzierungen in der Energiebranche betreut hast.
Genau, das war Ende der 1990er zur Zeit der Strommarktliberalisierung – und somit mein erster hauptberuflicher Berührungspunkt mit Energiethemen. Ganz unbeleckt war ich allerdings nicht. Während des Studiums hatte ich bereits am Energiewirtschaftlichen Institut der Uni Köln einige Erfahrungen im Energiesektor sammeln können und 1990 im Rahmen einer Projektmitarbeit die politischen Entscheidungen zur Stilllegung oder zum Weiterbetrieb von DDR-Kraftwerken aus nächster Nähe miterlebt. Eine spannende Zeit – und eine sehr spannende Branche, die mich seitdem nicht mehr wirklich losgelassen hat!
Erst einmal hatte es dich in den 2000ern aber als kaufmännische Geschäftsführerin in die kommunale Wohnungswirtschaft verschlagen.
Ja, wobei Wohnungs- und Energiewirtschaft etliche Berührungspunkte haben. Das wird heutzutage deutlicher denn je, wo alle von Sektorenkopplung und der Energiewende im Gebäudebereich reden. Aber auch in meiner Zeit als Geschäftsführerin bei der HOWOGE, einer großen Berliner Wohnungsgesellschaft, waren Energiethemen schon sehr wichtig. Die Reduzierung des Wärmeverbrauchs in den Gebäuden war beispielsweise ganz zentral. In Berlin wird ja sehr viel über Fernwärme geheizt, die Wärme wird also über ein Leitungsnetz von einem zentralen Kraftwerk in die Häuser geleitet. Insofern hatten wir die Erzeugung zwar nicht in der Hand, wollten aber den Verbrauch so weit wie möglich optimieren. Dazu haben wir beispielsweise unter Einbeziehung von Wetterprognosen ferngesteuert die Vorlauftemperaturen in den Hausnetzen reduziert.
Trotz solcher Projekte hängt der Gebäudesektor bei den Emissionsminderungszielen hinterher. Was meinst du, woran liegt das?
Viele Jahre lang haben einfach niedrige Energiepreise einem grundlegenden Wandel im Weg gestanden. Es ist für große Wohnungsunternehmen schwierig, in großflächige energetische Altbausanierungen zu investieren, wenn es sich mittelfristig nicht lohnt. Und das tat es lange Zeit nicht. Klimaschutzprojekte gerade im Bestand ließen sich in den damaligen Zeiten nur durchsetzen, wenn bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die Zukunft extreme Preissteigerungen bei den konventionellen Energieträgern angenommen wurden.
Die haben wir ja nun.
Dass die Preise dermaßen explodieren wie derzeit, ist aber natürlich fatal, weil sich viele Haushalte und auch Unternehmen in so kurzer Zeit an die neuen Gegebenheiten nicht anpassen können. Richtig gewesen wäre ein politisch induzierter früh beginnender, moderater Anstiegspfad über mehrere Jahre. Damit Haushalten und auch gewerblichen Energieverbrauchern klar ist, dass es sich lohnen wird, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Wir hätten einfach schon etliche Jahre vorher eine sektorenübergreifende CO2-Bepreisung gebraucht.
Vor sechs Jahren bist du dann von der Wohnungs- in die Energiewirtschaft gewechselt und hast als Geschäftsführerin die Stadtwerke Potsdam geleitet. Hat das deinen Blick auf die Energiewende und den Klimaschutz verändert?
Nein, eigentlich nicht. Das war von den Themen her, mit denen ich mich beschäftigt habe, eine organische Weiterentwicklung. In der Wohnungswirtschaft ist die Wärmeversorgung der Gebäude ein dauerpräsentes Thema – und damit auch automatisch Energieeffizienz. In meiner Zeit bei der HOWOGE haben wir auch den Strom für unsere Liegenschaften zentral beschafft und uns hierfür mit den Qualitätsanforderungen an die Ökostrombelieferung auseinandergesetzt.
Bei naturstrom bist du nun zuständig für die Bereiche Finanzen, Personal und IT. Woran denkst du bei der viel zitierten „Digitalisierung der Energiewirtschaft“?
Die Digitalisierung kann man aus zwei Perspektiven betrachten: von innen und außen. In der Außenperspektive geht es um die Digitalisierung in der Beziehung der Energiewirtschaft zu ihren Kund:innen. Ein Mega-Projekt, das leider auch richtig verbockt wurde, ist hierbei der Rollout intelligenter Messsysteme. Der Grundgedanke ist natürlich richtig: In Zeiten einer dezentral organisierten, flexibilisierten Energiewelt kann die Energiewirtschaft nicht blind gegenüber den tatsächlichen Verbräuchen der Kund:innen sein. Und auch die Kund:innen selbst können profitieren, wenn sie anhand digital verfügbarer Verbrauchsdaten ihren Energiekonsum optimieren. Theoretisch zumindest, denn in der Praxis steht den zusätzlichen Kosten intelligenter Messsysteme immer noch kein ausreichender Mehrwert gegenüber. Das zu erörtern, wäre Stoff für ein separates Gespräch.
Und was ist mit der Innenperspektive?
Nach innen bedeutet die Digitalisierung eine rasante Beschleunigung der Kommunikation und der Prozessabläufe in den Organisationen. Das ist natürlich einerseits Sinn und Zweck der Sache, verlangt andererseits aber auch in der Test- und Einführungsphase neuer IT-Systeme vielen Beteiligten einiges ab. Deswegen geht es in IT-Projekten mindestens genauso darum, die Beschäftigten einzubinden, wie um die technische Umsetzung. Ein gutes Gespür für die Menschen und die Geschwindigkeit, in der man IT-getriebene Veränderungsprozesse umsetzen kann, ist für das Gelingen solcher Projekte ungeheuer wichtig.
Nachhaltigkeit fällt zwar nicht in den Zuschnitt deines Vorstandsressorts, ist aber natürlich bei naturstrom in jeder Hinsicht unheimlich wichtig. Wie nachhaltig gestaltest du deinen Alltag?
Seit ich erwachsen bin, lebe ich aus voller Überzeugung ausschließlich in Mehrfamilienhäusern. Mir gefällt der Gedanke, endliche Ressourcen wie den Baugrund, aber auch die Baustoffe effizient auszunutzen. Außerdem haben meine Familie und ich schon vor der aktuellen Energiekrise wenig geheizt, mehr als 20 Grad sind es bei uns eigentlich nie. Ich selbst fahre sehr viel Bahn und ÖPNV, vermeide Flüge und Autofahrten, wo ich kann. Vor einiger Zeit habe ich mich entschlossen, auf ein eigenes Auto zu verzichten und fühle mich sehr gut damit.
Wo du schon deine Familie ansprichst. Waren die Proteste von Fridays for Future bei Euch Thema am Esstisch?
Klar, meine Tochter hat unser Konsumverhalten und unseren Lebensstil kritisch hinterfragt. Und sie hat mich auch in meiner beruflichen Rolle gefordert. Tust du in deiner Funktion das Nötige, um die Klimakrise aufzuhalten?
Und?
Na ja, jetzt bin ich hier.
Kein schlechter Zug, das stimmt. Wie siehst du denn in der Klimaschutzdebatte die Zuständigkeitsfrage, die manchmal konstruiert wird: Ist der Einzelne mit seinem Handeln für das Erreichen der Klimaziele verantwortlich oder ist die Politik zuständig, weil sie den passenden Rahmen setzen muss?
Ich sehe die Politik schon in der Pflicht, Angebote an die Menschen zu machen. Damit wir als Individuen in der großen Masse die richtigen Konsum-, Investitions- und sicherlich auch Verzichtsentscheidungen im Sinne des Klimas treffen, muss der Rahmen stimmen. Man kann nicht erwarten, dass die Summe der individuellen Einzelentscheidungen allein aus purem guten Willen heraus auf ein Erreichen des 1,5-Gard-Ziels herausläuft, wenn zugleich klimaschädigendes Verhalten günstiger und in vielen Fällen einfach der jahrzehntelang eingeübte Standard ist.
Zugleich soll sich hinter dieser Diagnose bitte niemand verstecken. Wir sind ja als naturstrom mit über 300.000 Kund:innen das lebende Beispiel dafür, wie auch jede und jeder Einzelne mit individuellen Kaufentscheidungen dazu beitragen kann, dass wir uns als Gesellschaft Stück für Stück in die richtige Richtung bewegen.
Stück für Stück ist aber nicht genug, könnte man einwenden. In die Berichterstattung zur Klimabewegung mischt sich immer mehr der Eindruck, viele Aktivist:innen seien gefrustet.
Die jungen Leute haben schon enorm viel erreicht, finde ich. Es ist viel in Bewegung geraten, in der Politik wie in vielen Unternehmen. Wir hatten im letzten halben Jahr wahrscheinlich so viele Gesetzesvorlagen zur Energiewende wie zuvor in zwei Legislaturperioden nicht. Viele von den Fridays sehen das wahrscheinlich gar nicht als Erfolg, weil der Weg zum 1,5-Grad-Ziel immer noch ein sehr weiter ist. Das ist leider auch so, aber große Teile der Gesellschaft haben sich immerhin nun auf diesen Weg begeben, das sollte man nicht geringschätzen.
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