Zahl des Monats - 20 Jahre Strommarktliberalisierung

Zahl des Monats – 20 Jahre Strommarktliberalisierung

Adressdaten, Kontodaten, Zählerstand, klick und fertig. Zu naturstrom zu wechseln ist heutzutage kinderleicht. Was den Verbraucherinnen und Verbrauchern heute ebenso selbstverständlich ist, wie den Telefonanbieter zu wechseln, wurde vor zwanzig Jahren erst möglich gemacht: mit der Strommarktliberalisierung.

Bis dato war die Stromversorgung eine hoheitliche Aufgabe, die von kommunalen Betrieben – den Stadtwerken – verrichtet wurde. Strom war einfach Strom, ähnlich unspektakulär wie das Wasser aus dem Wasserhahn. Eine kommunale Versorgungsanstalt, ein Tarif – und übers Land verteilt rauchten die Kohlemeiler und brizzelten die Atomkraftwerke vor sich hin. An der Grundlogik hatte sich nichts geändert, seit die Kommunen auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert ihre Elektrizitätswerke gegründet hatten. Bis 1997 die EU-Kommission eine Direktive erlies, die die schrittweise Liberalisierung des Energiemarktes in allen EU-Staaten vorsah.

Die deutsche Politik machte sich an die Arbeit – und bereits am 29. April 1998 unterzeichnete Bundespräsident Roman Herzog das erste „Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts“ (EnWG), welches damit in Kraft trat. Das Gesetz schuf die formalen Voraussetzungen dafür, dass Verbraucher ihren Energielieferanten frei wählen können.

Aus Verbrauchern werden Kunden – mit Wahlmöglichkeit

„Erst durch die Strommarktliberalisierung ist der Verbraucher zu einem Kunden mit Wahlmöglichkeiten geworden“, beschreibt es NATURSTROM-Vorstandschef Dr. Thomas E. Banning. „Er kann Geld sparen, indem er von den klassischen Grundversorgertarifen in andere Verträge wechselt. Oder er kann einen Stromlieferanten wählen, der ihm einen Mehrwert bietet, zum Beispiel Ökostrom. Das gab es vorher alles nicht.“

Welche Chancen mit dieser neuen Wahlfreiheit verbunden sein würden, hatte Anfang 1998 bereits eine kleine Gruppe erkannt, die vor allem eines einte: ihre Begeisterung für die noch jungen erneuerbaren Energien und ihr unbedingter Wille, die damals noch alternativlos erscheinenden Atom- und Kohlekraftwerke Stück für Stück überflüssig zu machen. Am 16. April 1998 gründeten diese 16 Männer und Frauen die NATURSTROM AG, Deutschlands ersten bundesweit agierenden Anbieter von 100 Prozent Ökostrom.

PV Anlage Weil am Rhein_Zeitungsausschnitt von 1998_Naturstrom AG

Sieht aus wie 1988, ist aber zehn Jahre später: die erste geförderte Anlage von NATURSTROM. Mit freundlicher Genehmigung der Badischen Zeitung.

Nahezu zeitgleich schossen viele weitere neue Anbieter aus dem Boden. Sie hießen Ares, Riva oder Zeus Strom. Anders als NATURSTROM setzten fast alle anderen unabhängigen Stromanbieter auf die Macht des Preises. Mit billigem Graustrom wollten sie den Stadtwerken die Kunden abjagen.

Alte Platzhirsche bestimmen die Spielregeln

Die Euphorie, die nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Verbraucher und die mediale Öffentlichkeit ergriffen hatte, schlug innerhalb weniger Jahre in Ernüchterung um. Nachdem die Verbraucherstrompreise in den Jahren 1999 und 2000 nachgegeben hatten, stiegen sie wieder an. Die neuen Anbieter stellten fest, dass die Liberalisierung einen entscheidenden Haken hatte: Der Markt war zwar geöffnet, seine Spielregeln bestimmte jedoch das alte Establishment. Dessen entscheidender Hebel ist der Zugang zum Stromnetz. Denn als einziges EU-Mitglied hatte Deutschland auf den „verhandelten Netzzugang“ gesetzt, also auf Vereinbarungen zwischen den Stromanbietern und Netzbetreibern anstelle einer staatlichen Regulierung. Die Konsequenz sind Raubrittermethoden. Denn Betreiber der lokalen Verteilnetze sind die Ex-Monopolisten oder deren Tochterfirmen, also parteiische Akteure. Als „Wächter“ über den Netzzugang sitzen sie am längeren Hebel. Sie erschweren den neuen Anbietern die Ummeldung und Belieferung der Kunden, wo es nur geht.

Auch NATURSTROM hat in diesen Jahren hart zu kämpfen. Die ersten knapp 7.000 Kunden kommen recht zügig, doch dann herrscht Flaute. Zum Leben zu wenig, zum Sterben nur haarscharf zu viel. Viele Mitarbeiter aus der Grünungsphase verlassen das Unternehmen, Mitte der 2000er organisiert ein kleines Team von vier Leuten die Kundenbelieferung. In dieser Phase war die Treue der ersten naturstrom-Kunden das Zünglein an der Waage.

Mitte der 2000er ist die Reform gescheitert

Die meisten anderen Anbieter haben nicht dieses Glück. Reihenweise gehen sie in die Insolvenz oder ziehen sich aus dem deutschen Markt zurück. Wer groß genug ist, schluckt die kleineren oder fusioniert. In einem offiziell zu hundert Prozent liberalisierten Markt haben im Jahr 2005 gerade einmal fünf Prozent der Verbraucher wenigstens ein Mal seit 1998 ihren Anbieter gewechselt.

Mitte der 2000er haben nur vier unabhängiger Stromanbieter überlebt: NATURSTROM und drei weitere Ökostromanbieter. Die Strommarktliberalisierung ist zu diesem Zeitpunkt faktisch gescheitert. Zum Wendepunkt wird das zweites Energiewirtschaftsgesetz im Jahr 2005. Es setzt – nach heftigem Widerstand der alten Energiewirtschaft und daher erst mit zwei Jahren Verspätung – das EU-Binnenmarktpaket von 2003 in deutsches Recht um. Zu den wichtigsten Punkten gehört die Beauftragung der Bundesnetzagentur mit der Regulierung des Strommarktes. Die Strom- und Gasnetzzugangsverordnungen, die Netzanschluss- und Netzentgeldverordnungen beenden die Willkür der Netzbetreiber und regeln den diskriminierungsfreien Zugang unabhängiger Anbieter zur Netzinfrastruktur.

Strommarktliberalisierung trägt spät Früchte

Heute ist das Angebot im Strommarkt für Endverbraucher enorm, der Wettbewerb funktioniert. In mehr als 86 Prozent der Netzgebiete stehen über 50 Anbieter zur Auswahl – im Jahr 2007 lag dieser Wert noch bei knapp 25 Prozent. Zwar bezieht immer noch jeder dritte Haushalt die teure Grundversorgung des örtlichen Platzhirschs, der Anteil nimmt aber seit Jahren stetig ab.

Und NATURSTROM? Hat sich derweil vom kleinen Startup zu einem der führenden Öko-Energieversorger entwickelt – und sich dabei die Flexibilität und den Pioniergeist der Gründertage erhalten. Ökostrom und Biogas, Wind- und Solarparks, Heizzentralen und Wärmenetze, Ladesäulen und Lastenräder – all das und vieles mehr gehört heute zu NATURSTROM. Die Weichen sind gestellt, um auch in den nächsten 20 Jahren die dezentrale, bürgernahe Energiewende als wesentlicher Akteur mitzugestalten.

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Tim Loppe
loppe@naturstrom.de

ist seit April 2010 Pressesprecher bei naturstrom. Entdeckte die Energiewende in seiner Zeit bei einer Düsseldorfer PR-Agentur für sich. Zuvor hatte der promovierte Germanist an den Universitäten Düsseldorf und Münster im Bereich Sprachwissenschaften gelehrt. E-Mail

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