„Die Arbeit geht jetzt erst richtig los“ – Reiner Priggen im Interview

Die Kohlekommission hat ihr Ergebnis abgeliefert. Ist es der große Wurf für den Klimaschutz oder ein teures Geschenk an die Kohleindustrie? Darüber sprachen wir mit Reiner Priggen, der als Verbandsvorsitzender der erneuerbaren Energien im Kohleland NRW Mitglied der Kommission war. Die Fragen stellte Tim Loppe.

Herr Priggen, die Kohlekommission hatte ihr Ergebnis kaum vorgestellt, da kam schon Kritik aus den Umweltverbänden. Schmerzt das?

Nein, die Kritik ist berechtig. Der Kommissionsbericht ist ein klassischer Kompromiss, der jeder Seite etwas abverlangt. Das Ergebnis reicht nicht aus, um die Pariser Klimaschutzvorgaben zu erfüllen – das war aber auch nicht der Auftrag an die Kommission. Auf der Habenseite steht: Deutschland als größtes europäisches Industrieland steigt aus der Kohleverstromung aus – mit Zustimmung der Industrie. Das an sich ist ein enormer Erfolg.

Ist das wirklich ein Erfolg, wenn der Ausstieg erst 2038 kommt?

Ich hätte natürlich ein früheres Datum sehr begrüßt. Trotzdem sehe ich 2038 recht entspannt, zumal 2032 noch nachjustiert werden kann. Und wenn sich in den nächsten Jahren Dürreperioden wie 2018 häufen, wird der Druck für einen zügigen Ausstieg steigen. Fakt ist außerdem: Ohne die Zustimmung der Industrie, der Bundesregierung und der ostdeutschen Länder hätte es kein Ergebnis gegeben. Und das vorliegende ist deutlich besser als keines.

Es gibt noch die kleine Hintertür dafür, den Ausstieg auf 2035 vorzuziehen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Das wird sich in den nächsten zehn Jahren entscheiden. Der Kommissionsbericht schlägt ja regelmäßige Revisionen vor. Ich kann mir vorstellen, dass Kraftwerke vorzeitig in eine Sicherheitsreserve überführt werden. Dann sind sie noch nicht endgültig stillgelegt, produzieren aber praktisch keine Emissionen mehr.

 

Reiner Priggen, Vorsitzender des Landesverbandes erneuerbaren Energien.

Die Kohlekommission schlägt Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber vor, obwohl wissenschaftliche Berater des Bundestags sie für unnötig halten. Woher die Spendierlaune der Kommission?

Innerhalb der Kommission wurde nicht bestritten, dass man den Betrieb alter Kraftwerke nach einer angemessenen Frist von einem oder zwei Jahren untersagen könnte. Aber es war ebenso unstrittig, dass die Industrie und die Bundesregierung das nicht mitmachen. Der Kommissionsbericht enthält deswegen eine pragmatische Lösung: Er gibt der Bundesregierung bis zum 30. Juni 2020 Zeit für eine Konsenslösung mit den Betreibern. Gibt es die nicht, soll es Abschaltungen per Ordnungsrecht geben, um Kraftwerke gegen die rechtlich erforderliche Entschädigung abzuschalten.

Würde es die Bundesregierung auf diese Konfrontation ankommen lassen?

Diese Bundesregierung hat nicht die Kraft, über Ordnungsrecht die Stilllegung von 50 Jahre alten Blöcken durchzusetzen. Wenn wir uns eine andere Regierung vorstellen, die ein bisschen mehr Durchsetzungsvermögen hat, dann könnte die sagen: Blöcke, die mehr als 40 Jahre alt sind, die ihre Investitionen mehrfach verdient haben, nehmen wir raus ohne Entschädigungen. Rechtlich wäre sie auf der sicheren Seite. Begründen ließe sich dieses Vorgehen über das Klimaschutzabkommen von Paris – einstimmig im Bundestag beschlossen. Daraus leitet sich die Begründung für die Politik her, die weitere Nutzung zu untersagen. Dafür braucht es aber eine Mehrheit. Und die ist im Bundestag nicht absehbar. Die GroKo wird das auf keinen Fall machen. Eine Regierung, die dazu imstande ist, kann ich mir wünschen, aber ob und wann die kommt, ist eine andere Frage. Die Kommission hat jedenfalls nur das Instrument gehabt, Abschaltungen gegen Entschädigung vorzuschlagen. Und da bin ich als pragmatischer Mensch dafür, es mit Entschädigung zu machen, denn alles andere ist verschobene Hoffnung.

Die Umweltverbände und RWE haben sich im Februar gegenseitig den Schwarzen Peter zugeschoben: NRW habe die Zusage gemacht, dass 3 GW bis 2022 im Rheinischen Revier stillgelegt werden – wodurch sich der Hambacher Wald und die Dörfer im Tagebaufeld retten ließen. RWE sieht es wiederum nicht ein, in den ersten Jahren die alleinige Last des Ausstiegs zu tragen.

Wie hat es sich denn wirklich zugetragen?

Die Kommission hat Vorschläge gemacht. Und die müssen jetzt umgesetzt werden in Gesetzgebung, das macht der Bundestag. Man kann allen Beteiligten nur raten, das Ergebnis der Kommission eins zu eins umzusetzen. Eine Rosinenpickerei würde das, was an Konsens erzielt wurde, gefährden. Es ist unstreitig, dass bis 2022 3 GW Braunkohle aus dem Markt herausgenommen werden müssen – das ist Kommissionsergebnis. In der Kommission ist immer diskutiert worden, dass das zunächst im Westen passiert. Die Kommission hat allerdings nicht blockscharf gesagt, dass es nur im Westen passiert. Es könnte also im Ergebnis auch so sein, dass die Bundesregierung nach Verhandlungen mit dem Lausitzer Kraftwerksbetreiber LEAG entscheidet, auch in Jänschwalde bis 2022 ein, zwei Blöcke rauszunehmen. Und entsprechend weniger dann bis 2022 bei RWE. Wie gesagt: Das muss die Bundesregierung jetzt verhandeln.

Apropos verhandeln: Bis zu 40 Milliarden Euro sollen außerdem an die Kohleländer fließen, auch da wurden schon Ansprüche aus den Ländern angemeldet. Ist der Geldregen überhaupt gerechtfertigt?

Diese Strukturhilfen sind richtig – für alle Reviere, aber gerade mit Blick auf die strukturschwache Lausitz. Es gibt in Europa 20 Kohleregionen im Ausstieg. Wenn wir in Deutschland den Kohleausstieg hinbekommen und auch sozial gut gestalten, kann das ein Modell für ganz Europa werden. Mir tun die eigentlich unnötigen Entschädigungen für die Betreiber deutlich mehr weh.

Wir haben viel über die Kritik am Kommissionsergebnis gesprochen. Worüber sind Sie denn besonders stolz?

Wir hatten zuletzt zehn Jahre Stillstand in der Energiepolitik. Die haben wir endlich überwunden. In der Kommission haben wir sehr intensiv gearbeitet, mit sehr guten Leuten. Und das Ergebnis dieser Arbeit sendet ein ganz klares Signal: Das Industrieland Deutschland macht sich auf den Weg und steigt aus der Kohle aus. Das Drehbuch für die nächsten Jahre liegt auf dem Tisch. Das heißt nicht, dass die Arbeit gemacht ist. Im Gegenteil, jetzt geht es erst richtig los!Wir brauchen z. B. eine Abgabe auf CO2

Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium sieht das offenbar anders …

Ja, denn die Große Koalition hat sich darauf festgelegt, eine CO2-Abgabe nur im Kontext der G20 einzuführen. Das bedeutet de facto eine Absage. Trotzdem verlangen immer mehr Industrieunternehmen in Deutschland, dass der Klimaschutz über marktwirtschaftliche Impulse geregelt werden sollte. Das wäre technologieoffen und würde nicht noch zusätzliche Bürokratie bedeuten. Eine CO2-Abgabe, die einen fairen Wettbewerb zwischen den Erneuerbaren und fossilen Brennstoffen etabliert, wäre dafür die eleganteste Lösung.

Woher kommt dann die renitente Haltung der Großen Koalition?

Die GroKo zieht sich bei der CO2-Bepreisung auf den Koalitionsvertrag zurück – damit ist das Thema für diese Legislaturperiode gestorben. Aber die ist in zwei Jahren zu Ende und dann ist die Chance, nach der Wahl etwas Neues zu entwickeln.

Immerhin hat sich die Kohlekommission vorsichtig zu einer CO2-Abgabe positioniert …

Ja, die Kommission konnte sich immerhin darauf verständigen, die Prüfung einer CO2-Abgabe für die nicht vom Emissionshandel betroffenen Bereiche zu fordern. Das ist schon ein Signal, dass auch die Vertreter der Industrie in der Kommission bereit waren, für die Bereiche Verkehr und Gebäude eine CO2-Abgabe zu prüfen. Zusätzlich haben Vertreter aus der Umweltbewegung in einem Minderheitenvotum gefordert, auch eine CO2-Abgabe im Stromsektor zu prüfen. Allen ist klar, wir brauchen ein sektorübergreifendes Instrument mit Lenkungswirkung. Am liebsten wäre mir ein Modell wie in der Schweiz mit kontinuierlich steigenden Preisen, damit die Industrie einen permanenten Anreiz für Innovationen und Effizienzmaßnahmen hat. Aber auch das britische oder niederländische Modell mit einem Preis von 30 oder 40 Euro pro Tonne CO2 würde in Deutschland schon konkrete Veränderungen bewirken. Ich bin zuversichtlich: Eine CO2-Bepreisung kommt irgendwann. Ganz einfach, weil die Logik besticht.

Nicht erst irgendwann, sondern schon 2019 soll auch das Klimaschutzgesetz kommen …

Ich befürchte, das Äußerste, was die GroKo noch schafft, ist, den Beschluss der Kohlekommission umzusetzen. Ihn nicht umzusetzen kann sie sich nicht erlauben. Aber alle anderen Baustellen mit Energiebezug? Die Gebäudekommission: vertagt. Die Verkehrskommission: darf nur noch tagen, wenn sie nicht über Tempolimits redet. Das ist hochgradig peinlich und zeigt die Handlungsunfähigkeit der GroKo.

Also kein Klimaschutzgesetz?

Es würde mich sehr überraschen. Es wäre richtig und notwendig. Ich sehe aber nicht, dass die GroKo die Kraft und Dynamik entwickelt, die dafür nötig wäre.

Herr Priggen, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Das Interview ist zuerst erschienen in der energiezukunft, Ausgabe 26.

Lara Müller
lara.mueller@naturstrom.de
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