„Beim Hambacher Wald hat die Landesregierung versagt“ – Regisseur Valentin Thurn im Interview

Drei Jahre lang haben der Dokumentarfilm-Produzent Valentin Thurn („Taste the Waste“) und die Regisseurin Karin de Miguel Wessendorf („Weniger ist mehr. Die Grenzen des Wachstums und das bessere Leben“) die Demonstrationen rund um den Braunkohleabbau in NRW begleitet. Das Ergebnis, „Die Rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst“, kommt am 23.05.2019 in die Kinos.
Wir haben mit Thurn über den Hambacher Wald und seinen persönlichen Eindruck vom Ergebnis der Kohlekommission gesprochen.

Herr Thurn, was bewegt Sie besonders am Hambacher Wald?

Ein großes Thema, was mich bewegt, ist auf jeden Fall, dass die Braunkohle-Verstromung in meiner Nachbarschaft stattfindet und damit auch der größte Verursacher für schlechte Luft und den Klimawandel so greifbar ist. Die Braunkohle ist eben die dreckigste Form der Energiegewinnung. Immer wieder waren und sind Bekannte und auch ich geschockt, was so nah bei uns passiert, wenn z. B. ganze Dörfer abgerissen werden oder eben auch ein Wald so dezimiert wird.
Als Karin de Miguel Wessendorf dann mit der Idee für das Filmprojekt um den Hambacher Wald auf mich zugekommen ist, ist sie bei mir daher natürlich auf offene Türen gestoßen.

Deutschland sieht sich als Vorreiter in der Energiewende, aber die Braunkohle macht dies etwas zunichte.

Sie waren auch vor Ort und haben Aktivisten getroffen. Was haben diese Gespräche in Ihnen ausgelöst?

Beeindruckt hat mich auf jeden Fall, wie friedlich die Menschen im Hambacher Wald zusammenleben. Die Berichterstattung ist ja häufig sehr negativ gewesen, aber ich habe hauptsächlich friedliche Menschen erlebt. Die Leute waren auch immer auf die Sicherheit der anderen Menschen bedacht, sie haben z. B. darauf geachtet, dass im Wald nur Leute klettern, die auch eine Kletterausrüstung anhaben. Sie haben mir geschildert, dass die Gewalt vermehrt vom RWE Sicherheitspersonal ausging, das teilweise wie Schlägertrupps Menschen angegriffen habe. Das hat mich schon geschockt.

Der Hambacher Wald ist für mich ein Beispiel, wie schlecht die Landesregierung den demokratischen Prozess durchführt. Man hätte vor diesem ganzen radikalen Vorgehen viel mehr reden und eine Einigung erreichen müssen. Daher hat für mich die Landesregierung hier versagt, generell ist einfach sehr viel schiefgelaufen, was anders hätte laufen können. Aber die Politiker trauen sich aus Angst vor Konsequenzen nicht, etwas gegen einen Riesen wie RWE zu machen.
Wir wollen Protagonisten und Betroffene in die Kinos einladen, in denen der Film gezeigt wird, damit Zuschauer mit ihnen über die Geschehnisse sprechen können.

Kinofilm mit Diskussionsrunde? Wenn’s nach Thurn geht gerne. (Foto: © Brigitta Leber)

In ihrem Abschlussbericht schreibt die Kohlekommission unter anderem, dass es „wünschenswert [wäre], dass der Hambacher Forst erhalten bleibt“. Wie schätzen Sie sie diesen Kompromiss ein?

Also die Kohlekommission hat nicht gesagt, dass der Wald bleibt. Es ist so formuliert, dass man denkt, dass entweder der Wald oder die Dörfer bleiben werden. Beides erscheint nicht möglich. Abgesehen davon, ob er bleibt oder nicht, ist er aber auch nur noch mehr ein Schatten seiner selbst.

Wenn der Hambacher Wald bleibt, ist die nächste große Herausforderung, was mit den Baumbesetzern passiert. Die Frage ist: Wo kommen sie hin? RWE wird dann aber wahrscheinlich auch vorsichtiger sein, weil sie wissen, wie viele Menschen mittlerweile hinter dem Wald stehen und mobilisiert werden können.

Worüber könnte sich ein anschließendes Filmprojekt von Ihnen drehen?

Um die nächsten zehn Jahre Widerstand im Wald. (lacht) Nächstes Jahr kommt mein eigener Film „Träume und Zukunftsvisionen“ heraus. Dort geht es u. a. auch um Nachhaltigkeit, aber nicht nur. Vor allem geht es darum, wie Visionen beginnen und umgesetzt werden.
Ob es noch ein anschließendes Filmprojekt zum Hambacher Wald gibt, ergibt sich, je nachdem wie es weitergeht. Aber wir denken auch über ein Filmprojekt zu den Atomkraftwerken an der belgischen Grenze nach.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Thurn.

Übrigens: Noch bis Ende September 2019 läuft eine Crowdfunding-Aktion, bei der Thurn und sein Team Spenden für „Die Rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst“ sammeln. Das Geld soll unter anderem in die Produktion englischer Untertitel sowie die Organisation von Filmvorführungen und Diskussionen in ganz Deutschland fließen.

Das Gespräch führte Britta Robst, Auszubildende bei NATURSTROM. 

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