50 Prozent Ökostrom – ist die Energiewende ein Selbstläufer?

Was für ein Erfolg: Im ersten Quartal 2020 haben Erneuerbare Energien in Deutschland erstmals einen Anteil von mehr als 50 Prozent am deutschen Stromverbrauch erreicht. Die neue Rekordmarke bestätigt das bisher kontinuierliche Wachstum der Ökostromerzeugung in Deutschland, die Energiewende ist damit auf einem guten Weg und dezidierte Ökostrom-Tarife damit hinfällig – oder vielleicht doch nicht? Wir verraten euch, warum die aktuelle Situation kein uneingeschränkter Grund zum Jubeln ist und die Energiewende auch mit dem bisher Erreichten keineswegs ein Selbstläufer ist.

Mehr als 50 Prozent Erneuerbare Energien im deutschen Strommix – die kürzlich vermeldete Rekordmarke für das erste Quartal 2020 ist ein eindrucksvoller Erfolg in Sachen Energiewende und ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Klimaschutz in unserem Kraftwerkspark. Dennoch gibt es einige Gründe, weshalb wir gerade jetzt und trotz dieses Etappensieges in puncto CO2-Reduktion nicht nachlassen dürfen und weshalb es weiterhin Angebote und Unternehmen braucht, die die Energiewende vorantreiben:

  1. Das Klimaerwärmungsparadoxon: die Sondereffekte der Rekordmarke

Über 50 Prozent Erneuerbare Energien im Stromverbrauch sind super – doch zu verdanken haben wir das weder einer lenkenden Politik der letzten Monate noch einem Zuwachs an umweltbewussten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Vielmehr beruht die Entwicklung zuletzt auf einigen Sondereffekten, sowohl bei der Stromerzeugung als auch beim Verbrauch und damit im Zähler wie auch Nenner dieses Prozentanteils. Für den Ökostrom-Ertrag war die Wetterlage in den ersten drei Monaten 2020 nämlich besonders förderlich: Neben dem in dieser Zeit meistens hohen Windaufkommen zeichnete sich der Jahresanfang 2020 zusätzlich durch besonders warme und sonnige Wetterlagen aus. Zu verdanken haben wir diese besonders große Ökostromerzeugung damit nicht zuletzt der Klimaerwärmung, die so dazu beiträgt, Erneuerbare Energien zu stärken. Paradox, oder? Keineswegs hat sich dagegen der Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen beschleunigt, im Gegenteil: 2019 war das Jahr mit dem schwächsten Ausbau an Windenergie seit Bestehen des EEGs, und auch 2020 hat sich diese Entwicklung nur geringfügig verbessert.

Parallel zu dieser überdurchschnittlichen Ökostromerzeugung gab es, bedingt durch den milden Winter und dann vor allem durch die ab Februar einsetzende Corona-Krise einen besonders niedrigen Stromverbrauch. Der insgesamt geringere Stromabsatz begünstigt (bei dank Einspeisevorrang gleichbleibenden Ökostrommengen) rechnerisch hohe Erneuerbaren-Anteile zusätzlich, wird aber kein Dauerzustand sein. Zwar wäre mehr Energieeffizienz und damit weniger Stromverbrauch durchaus wünschenswert, mit einer Erholung der Wirtschaft und insbesondere angesichts des Wachstums bei Wärmepumpen, Elektromobilität und Wasserstoffanwendungen wird der Strombedarf künftig aber eher steigen. Rechnet man also die Sondereffekte ab, drohen im Stromsektor deutlich langsamer wachsende oder schlechtestenfalls sogar rückläufige Anteile. Schon fürs Gesamtjahr 2020 wird man mit deutlich geringeren Ökostrom-Anteilen rechnen müssen, als sie im ersten Quartal erreicht wurden.

Zum Vergleich: 2019 lag der EE-Anteil am (Brutto-)Stromverbrauch bei 42,6 Prozent.

  1. Grundkurs Mathe: 50 Prozent sind keine 100

Aus 50 Prozent Erneuerbaren Energien ergibt sich ein To-do, denn die andere Hälfte der Stromerzeugung gefährdet weiterhin Mensch und Umwelt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber wir werden nicht müde, es zu betonen: Für eine wirklich klimafreundliche Energieversorgung brauchen wir 100 Prozent Erneuerbare Energien. Mit der aktuellen Rekordmarke haben wir also gerade einmal die halbe Strecke im Stromsektor geschafft – und das nebenbei bemerkt auch erst nach mehreren Jahrzehnten. Es braucht nun umso mehr Einsatz, um den restlichen Weg in möglichst klimaschutzangemessener und damit kurzer Zeit zu bewältigen, und überzeugte Anbieter, die diesen Weg mitgehen und -gestalten.

  1. Mehr Schein als Sein: Echter Ökostrom ist selten

Im deutschen Strommix befinden sich aktuell zwar mehr als 50 Prozent Ökostrom, wirklicher Bezug von echtem Ökostrom aus deutschen Erneuerbaren-Anlagen ist aber noch sehr selten. Klingt kompliziert, ist es auch: Der überwiegende Teil des bisher erzeugten Stroms aus Solar- und Windenergieanlagen ist nämlich über das EEG gefördert und kann daher aufgrund des so genannten Doppelvermarktungsverbotes nicht als Ökostrom vertrieben werden. Nur ganz wenige Anbieter wie NATURSTROM liefern ihren Kund*innen Strom aus deutschen Erneuerbaren-Anlagen außerhalb des EEG. Neben dem Einkauf von Wasserkraftstrom haben wir dazu etwa neue Solarparks ohne EEG-Förderung errichtet bzw. unter Vertrag genommen. Zusätzlich kommt ab 2021 auch Strom aus alten Windenergieanlagen hinzu, deren EEG-Förderung ausläuft und die andernfalls in den Ruhestand müssten.

Im Gegensatz dazu kaufen die meisten Ökostromanbieter einfach Graustrom an der Börse und waschen diesen dann mit günstigen Herkunftsnachweisen aus meist skandinavischen Wasserkraftwerken grün. Das ist zwar vollkommen legal, bringt die Energiewende aber nicht voran und die Kundinnen und Kunden bekommen so auch trotz Ökostromvertrag eigentlich kein einziges Prozentchen dieser als Rekord vermeldeten Erneuerbaren-Anteile geliefert.

  1. Mehr ist besser, aber: Ökokraftwerke bauen sich nicht von selbst

Apropos die Energiewende (nicht) voranbringen: Mit dem bestehenden Öko-Kraftwerkspark ist viel erreicht worden, schließlich kann er schon mehr als die Hälfte des deutschen Strombedarfs decken, in einzelnen Regionen sogar noch deutlich mehr. Mehr geht mit den bisherigen Anlagen aber eben auch bei besten Wetterverhältnissen nicht.

Gleichzeitig droht in den kommenden Jahren durch das Förderende vieler Altanlagen sogar ein Rückbau von Windenergie-Leistung und damit auch eine abnehmende Ökostromerzeugung. Es braucht also unbedingt einen weiteren Zubau Erneuerbarer Energien – und die muss irgendwer bauen. Als Rundum-Energieversorger beliefert NATURSTROM seine Kundinnen und Kunden daher nicht nur mit echtem Ökostrom, sondern realisiert und fördert auch den Ausbau neuer Anlagen. Und das sehr vielfältig: Durch eigene Wind- und Solarparks sowie PV-Dachanlagen und Mieterstromprojekte treiben wir den Erneuerbaren-Anteil immer weiter nach oben und verdrängen so treibhausgasintensiven Kohlestrom aus dem Strommix. Möglich ist das auch dank der Unterstützung unserer Kundinnen und Kunden, denn mit jeder Kilowattstunde, die sie verbrauchen, fließt mindestens ein Cent in einen Topf für neue Energiewende-Investitionen – so verändert tatsächlich jedes Lichtanschalten die deutsche Erzeugungslandschaft.

  1. Strom ist nicht die ganze Energieversorgung

Zuletzt noch etwas Grundsätzliches: Die Energiewende umfasst mehr als die Stromwende. Zwar spielt (Öko-)Strom künftig eine noch zentralere Rolle im Energiesystem, da auch die Bereiche Verkehr (durch Elektromobilität) und Wärme (durch Wärmepumpen und Power-to-Heat-Lösungen) zunehmend „elektrifiziert“ werden. Für eine ganzheitliche Energiewende und insbesondere für das Erreichen unserer Klimaziele reicht der Blick auf die Stromerzeugung aber nicht. Tatsächlich benötigt die Wärmeversorgung mit rund 50 Prozent sogar bislang am meisten Energie und im Verkehrsbereich gibt es bisher die geringsten Erfolge in Sachen Erneuerbaren-Anteil und Treibhausgasreduktion. Es stimmt, dass 50 Prozent Erneuerbare Energien beim Stromverbrauch ein (Zwischen-) Erfolg sind, aber für unsere Klimabilanz dürfen wir diese anderen Sektoren nicht unter den Tisch fallen lassen. Machen wir bei NATURSTROM auch nicht. Deshalb treiben wir auch außerhalb der Elektrizitätsversorgung eine klimafreundliche Veränderung des Energiesystems voran: Mittels Zweirad-Sharingangeboten wollen wir den Verkehr abseits vom Auto attraktiver machen – und wenn das Transportmittel doch vier Räder haben muss, ermöglichen wir mit unserer umfangreichen Palette an Elektromobilitätsangeboten, zumindest auf Benzin oder Diesel zu verzichten. Im Wärmebereich bieten wir mit unseren Biogas-Tarifen eine klimafreundliche Alternative zu fossilem Gas an, zudem beheizen wir in Quartiersprojekten oder mittels durch Erneuerbare Energien gespeiste Nahwärmenetze auch größere Baugebiete klimaneutral.

50 Prozent Erneuerbare Energien am Stromverbrauch sind ein Erfolg der Energiewende der letzten Jahre, über den wir uns freuen. Doch es gibt noch keinen Anlass, die Füße hochzulegen; es braucht stattdessen umso mehr Engagement in den kommenden Jahren, um den verbleibenden Weg erfolgreich anzugehen.

Sven Kirrmann
sven.kirrmann@naturstrom.de

Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.

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