Das Kreuz für und mit dem Klimaschutz: Wie die Europawahl das Weltschicksal prägen kann

Am 9. Juni wählt (auch) Deutschland ein neues Europaparlament – und entscheidet so mit darüber, wie es mit dem Klimaschutz in Europa und der Welt weitergeht. Wir schauen auf die letzte, in Sachen Nachhaltigkeit sehr produktive Legislaturperiode zurück und wagen einen Ausblick auf die kommenden Jahre.

Gerade in Sachen Klimaschutz gilt die EU als einer der großen Treiber weltweit, insbesondere angeschoben durch das Europaparlament. Ob das weiter so bleibt, hängt sehr stark von der kommenden Europawahl ab, die vom 6. bis zum 9. Juni auf dem Kontinent und in Deutschland am Sonntag, den 9. Juni, stattfindet.

Green Deal und mehr: Europäische Beschleunigung beim Klimaschutz seit 2019

Gerade die letzte Legislaturperiode war gekennzeichnet von hoher Ambition beim Klimaschutz. Das lag zum einen an der Weltlage, zum anderen aber auch am letzten Wahlergebnis, durch das viele Kräfte mit hohem Klimaschutzinteresse ins Parlament einzogen. Und das hatte Folgen: Schon zu Beginn der Legislaturperiode 2019 einigten sich Kommission und Parlament auf einen „Green Deal“ als prägendes Projekt für die kommenden Jahre. Dieser sollte nicht nur Klimaschutz und Energiewende stärken, sondern auch neue wirtschaftliche Chancen eröffnen – gerade in der folgenden Corona-Pandemie ein ebenfalls sehr wichtiger Aspekt.

Das zentrale Ziel des Green Deals: eine Reduktion der CO2-Emissionen in Europa um 55 Prozent bis 2030 (gegenüber 1990, vorheriges Ziel waren -40 Prozent). Bis 2050 will die EU Europa sogar zum ersten klimaneutralen Kontinent machen.

Um das zu erreichen, wurde in der Folge ein umfangreiches „Fit for 55“-Paket geschnürt, welches dann in Folge des russischen Ukraine-Angriffs sowie der daraus resultierenden Energiepreis-Krise noch durch ein kurzfristiges REPower-Paket und weitere Notfallmaßnahmen ergänzt wurde. Aber was wurde konkret beschlossen?

Breite Maßnahmenpalette für die Energiewende

Emissionshandel

Zentraler Hebel ist der EU-Emissionshandel für Industrie und Kraftwerke. Den gab‘s zwar auch schon zuvor, er ist im Zuge des Green Deals aber deutlich verschärft worden. Die dadurch teurer werdenden CO2-Zertifikate werden nach Ansicht der meisten Beobachter:innen dafür sorgen, dass sich Kohlekraftwerke schon Anfang der 2030er-Jahre nicht mehr lohnen und so marktlich ihren Betrieb einstellen. Flankiert werden soll dieser Emissionshandel für Großakteure ab 2027 durch einen ebensolchen Preismechanismus für Gebäude und Verkehr, ähnlich wie es ihn in Deutschland bereits gibt. Der entscheidende Unterschied zum bisherigen deutschen Bepreisungssystem: Es gibt nur noch eine feste und stetig sinkende Menge an Zertifikaten für diese Sektoren, statt fester Preise pro Tonne CO2. Die Zertifikate werden immer teurer und damit auch die fossilen Energieträger wie Erdgas und Benzin. Auf diese Weise werden die wahren Schadenskosten CO2-haltiger Brennstoffe für die Endverbraucher:innen sichtbar, klimafreundliche Verhaltensweisen lohnen sich mehr.

Ergänzt werden diese CO2-Preissysteme durch eine Art CO2-Zoll, damit auch Importe ähnlich bepreist werden. Das soll die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hersteller wahren und bestenfalls dazu führen, dass sich solche Systeme auch in den jeweiligen Partnerländern durchsetzen.

Verbrennerverbot

Aber nicht nur Marktinstrumente finden sich im Orchester europäischen Klimaschutzes, sondern auch ordnungsrechtliche: Am bekanntesten und meist diskutiert war dabei sicher das so genannte Verbrennerverbot, ein Begriff der irreführender nicht hätte sein können. Denn statt alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor von heute auf morgen zu verbieten, geht es vielmehr um eine sukzessive Herabsetzung der CO2– Flottengrenzwerte. So sollen ab 2035 (also in mehr als elf Jahren!) keine Fahrzeuge mehr verkauft werden, die noch CO2 ausstoßen.

Ähnliches gilt im Gebäudebereich, wo Verbrauchs- und Sanierungsstandards verschärft wurden, wobei hier die Mitgliedsstaaten allerdings viel Spielraum bei der konkreten nationalen Umsetzung haben. Dafür wurde eine verbindliche europaweite Solarpflicht eingeführt, die 2027 zunächst für neue Nichtwohngebäude, in den Folgejahren dann schrittweise auch für Wohn-Neubauten und Bestandsgebäude gilt.

Beschleunigungsgebiete

Apropos Erneuerbare: Diese sind natürlich generell die Grundlage für die gesamten Klimaschutzbemühungen, weshalb die Ausbauziele deutlich angehoben wurden. Bis 2030 wollen die EU-Staaten mindestens einen Anteil von 42,5 Prozent am Energieverbrauch (nicht nur Strom!) durch Erneuerbare decken, idealerweise sogar 45 Prozent. Um dies zu erreichen, gab es etwa Änderungen bei europäischen Umweltprüfungen und die Einführung so genannter Beschleunigungsgebiete. Das Ziel: Planungs-, Genehmigungs- und damit Realisierungszeiten von Windparks und Freiflächensolaranlagen deutlich zu beschleunigen – mit Erfolg! Nachdem jahrelang die Genehmigungs- und Realisierungszeiten gerade bei der Windenergie immer weiter stiegen, gehen diese Zeiträume in Deutschland seit Kurzem wieder zurück.

Und vieles mehr

Auch beim Thema grüner Wasserstoff wurden entscheidende Weichen gestellt, von transnationalen Transport- und Anwendungsprojekten über Zertifizierungsregeln bis hin zu Förderprogrammen. Nachdem die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff jahrzehntelang nur eine ferne Idee schien, sind mit den im Rahmen des Green Deals verabschiedeten Neuregelungen erstmals konkrete Bedingungen für einen sich entwickelnden Markt geschaffen worden.

Die EU setzt sich aber auch viel für den Verbraucherschutz ein. Im Energiebereich ging es hier in der letzten Legislaturperiode vor allem um den Schutz der Bürger:innen vor den sehr hohen Gas- und folgend Stromkosten in der Energiepreiskrise. Dazu hat die EU etwa Einkaufsgemeinschaften für Gas gebildet, um die Preise zu drücken, den Rahmen für Preissubventionsmechanismen wie etwa die Strom- und Gaspreisbremse in Deutschland gesetzt und zudem auch die Abschöpfung von Krisengewinnen ermöglicht.

Auch für künftige Knappheiten von Energie wurde bereits vorgesorgt: Mit der Überarbeitung des europäischen Energiemarkts werden einerseits Versorger dazu verpflichtet, ihre Einkäufe stärker langfristig abzusichern, andererseits bekommen Verbraucher:innen das Recht auf die Kombination von zwei Stromverträgen, insbesondere mit Blick auf Energy Sharing – so könnte etwa ein Haushalt einerseits immer dann von einer benachbarten Wind- und Solaranlage Strom beziehen, wenn diese gerade zu günstigen Kosten produziert, und über einen zweiten Vertrag würde eine Absicherung für andere Zeiten erfolgen.

Noch mehr Informationen zu weiteren EU-Regelungen der letzten fünf Jahre, gibt’s auf der Website der der EU-Kommission zum Green Deal. Reinschauen lohnt sich.

Viel erreicht, wie geht es weiter?

Das war jetzt viel Text, der aber dennoch nur einen Ausschnitt der klima- und energiepolitischen Verbesserungen der EU der letzten fünf Jahre zeigt. Entscheidend ist: Obwohl Energiepolitik weiter nationale Souveränität ist, setzt die EU auch hier den entscheidenden Rahmen. Und das bedeutet: Die Beteiligung an der EU-Wahl und die Zusammensetzung des neuen Europaparlaments entscheiden (mit) darüber, wie stark es mit dem Klimaschutz hier auf dem Kontinent weitergeht. Und nicht nur hier: Als größter zusammenhängender Wirtschaftsraum und durch Instrumente wie die CO2-Zölle hat die EU Wirkmacht weit über die eigenen Grenzen hinaus. Die Wahl wird daher auch weltweit zur Kursbestimmung in Sachen Klimaschutz beitragen.

Am 9. Juni wählen gehen und dabei Klimaschutz mitdenken!

Unser Aufruf lautet daher wenig überraschend: Geht am 9. Juni wählen! Die Europawahl ist keineswegs nice to have, sondern entscheidend für die Lebensbedingungen von uns allen, in den nächsten fünf Jahren und darüber hinaus.

Natürlich ist jeder in seiner Wahlentscheidung frei, das ist ja auch eine der großen Errungenschaften dieses Kontinents. Dennoch liegen uns bei der Wahl zwei Dinge am Herzen: Erstens Kein Kreuz für antidemokratischen Parteien! Versteht sich wohl von selbst, aber angesichts der zunehmenden Bedrohung der Demokratie in Deutschland und vielen anderen bis dato freien Ländern wollen wir das noch einmal unterstreichen. Zweitens: Auch wenn Klimaschutz laut Umfragen bei vielen Menschen nicht mehr ganz oben bei der Wahlentscheidung steht und Sorgen um die eigene Sicherheit sowie den Wohlstand die Debatten dominieren, wollen wir doch sehr appellieren, auch Nachhaltigkeitsthemen bei der Wahlentscheidung mit zu berücksichtigen. Schaut in die Wahlprogramme oder klickt euch durch den Wahl-o-Mat und überlegt, wie entschieden die verschiedenen Parteien den Klimaschutz angehen. Denn auch wenn es genug andere Sorgen gibt: Die Klimakrise bedroht unsere bisherigen Lebensgrundlagen am fundamentalsten, zunehmende Extremwetterereignisse sind schädlicher für Wirtschaft und Sicherheit als alle anderen Herausforderungen. Dies abzuwenden, wird zwar noch viele Anstrengungen und Investitionen benötigen, ist aber in jedem Fall nachhaltiger als Nichthandeln. Also am 9. Juni ab in die Wahlkabine (oder vorher Briefwahl beantragen) und mit dem eigenen Kreuz Europa, die Demokratie und den Klimaschutz stärken!

 

 

Bild: Guillaume Périgois (unsplash.com)

Sven Kirrmann
sven.kirrmann@naturstrom.de

Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.

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