Negative Strompreise – Chancen und Risiken einer besonderen Marktsituation

Der Wind weht, die Sonne scheint und die Erneuerbaren schicken den Börsenstrompreis in den Keller. Für Verbraucher:innen erfreulich, da auch ihre Endkundenpreise sinken – besonders, wenn sich die Börsenpreisentwicklung mittels dynamischem Stromtarifen direkt in den Haushaltsstromkosten niederschlägt. Der schnell ansteigende Beitrag Erneuerbarer Energien kann dabei sogar zu negativen Preisen führen, was nicht nur Grund zur Freude ist. Das Wichtigste zu diesem nicht neuen, aber deutlich verstärkten Phänomen im Überblick.

Wie entstehen negative Strompreise?

Angebot und Nachfrage entscheiden in Märkten über den Preis. Dieser Grundsatz gilt auch am Strommarkt. Das Besondere beim Handel mit Elektrizität ist allerdings, dass diese nur schlecht „gelagert“, also gespeichert, werden kann. Gleichzeitig muss das europäische Gesamtsystem immer in sehr engen Grenzen in der Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch sein, da sonst die Frequenz zu stark von dem 50 Hertz-Standard abweicht. Andernfalls drohen Schäden an Anlagen oder gar Stromausfälle. Wächst also das Angebot, purzeln die Preise, damit sich Abnehmer für die gestiegene Erzeugung finden – wenn mehr Strom als Nachfrage da ist, sogar bis ins Negative. Typischerweise entsteht diese Situation, wenn besonders viel Strom erneuerbar erzeugt und gleichzeitig wenig Strom verbraucht wird. Starker Wind und hohe Sonneneinstrahlung führen so bereits jetzt, gerade an Wochenenden oder Feiertagen, zu sehr niedrigen bis negativen Preisen an der Strombörse.

Ein Abregeln vieler konventioneller Kraftwerke ist oft nicht vollständig möglich, da eine gewisse Mindesterzeugung oder Regelleistung vertraglich zugesichert ist. Außerdem sind insbesondere Kohlekraftwerke technisch oft kaum in der Lage, sich kurzfristig flexibel anzupassen. Sie sind zu träge. Solar- und Windenergie sind dagegen nun einmal wetterabhängig und die Betreiber müssen dann Strom erzeugen, wenn es möglich ist. Daher muss für die angestrebte (und notwendige!) klimaneutrale Energieversorgung das Stromsystem insgesamt flexibler werden.

Wie kann ich von negativen Strompreisen profitieren?

Wer als Privatkunde einen Smart Meter besitzt und einen dynamischen Tarif wie naturstrom smart abgeschlossen hat, kann in Niedrig- bzw. Negativpreiszeiten ordentlich sparen. Der Schlüssel liegt darin, das eigene Nutzungsverhalten und den Strombezug von Großverbrauchern (z.B. Wärmepumpen oder E-Autos) an Zeiten mit niedrigen Preisen anzupassen. Das ist nicht nur fürs eigene Portemonnaie, sondern auch für das Energiesystem vorteilhaft. Denn so wird der Stromverbrauch in Zeiten mit viel Erneuerbaren verschoben, während der Bedarf bei wenig Solar- und Windeinspeisung sinkt. Alle Details zu unserem dynamischen Ökostrom-Tarif zum Börsenpreis gibt’s hier.

Die meisten privaten Verbraucher:innen werden es mangels Smart Meter derzeit aber noch schwer haben, unmittelbar von negativen Börsenstrompreisen zu profitieren. Aktuell haben die meisten Stromtarife eine langfristige Preisbindung – in der Regel ändert sich der Preis nur einmal im Jahr. Das tagtägliche Auf- und Ab der Börsenstrompreise schlägt sich so nicht auf die Tarifpreise nieder. Aktuell sind es vor allem Großunternehmen mit direktem Zugang zur Strombörse, die durch Lastverschiebung stark von negativen Preisen profitieren können.

Was haben die Erneuerbaren Energien mit negativen Strompreisen zu tun?

Ein Überangebot im Strommarkt entsteht typischerweise, wenn die volatilen Energien (also Windkraft und Photovoltaik) besonders viel Strom einspeisen und gleichzeitig wenig Strom nachgefragt wird. Dann sinkt der Preis schnell, teilweise eben bis ins Negative.

Da gerade kleine oder ältere Erneuerbare-Energien-Anlagen eine feste Einspeisevergütung nach EEG erhalten, ist ihr Betrieb aber unabhängig von der Preisentwicklung an der Börse. So speisen diese Anlagen derzeit auch dann noch ein, wenn kein Bedarf besteht. Neuere bzw. größere EEG-Anlagen werden hingegen mittels des Instruments der Direktvermarktung gefördert. Hier müssen die Betreiber ihren Strom selbst am Markt platzieren und haben trotz einer gewissen Förderabsicherung so ein Interesse, durch die Anlagenauslegung bzw. Steuerung oder Speicherung eher in Zeiten höherer Strompreise einzuspeisen. Die Differenz zwischen Börsenstrompreis und ausgezahlter Förderung wird in jedem Fall über das EEG-Konto ausgeglichen. Immer mehr neuere wie auch ausgeförderte Erneuerbaren-Anlagen haben allerdings gar keine Absicherung mehr und richten sich daher allein nach den Marktpreisen.

Wie funktioniert die Förderung von Erneuerbaren Energien im Strommarkt?

Private und kommerzielle Betreiber von Erneuerbaren-Energien-Anlagen erzeugen Ökostrom. Für jede Kilowattstunde erhalten kleinere Anlagen von ihrem jeweiligen Netzbetreiber eine feste Vergütung bzw. eine Marktprämie gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Der Netzbetreiber bzw. bei größeren Anlagen der Anlagenbetreiber bzw. dessen Dienstleister selbst verkaufen den Strom an der Strombörse. Eine mögliche Differenz zwischen Verkaufspreis und ausgezahlter Vergütung wird aus dem EEG-Konto übernommen. Dauerhaft niedrige oder negative Börsenpreise führen so zu einem höheren Aufwand für das EEG-Konto. Andersherum schonen hohe Börsenpreise wie 2022 dieses Förderkonto, da nur kleine oder gar keine Differenzen entstehen.

Mit dem Wegfall großer konventioneller – und träger – Kraftwerkskapazitäten im Rahmen des Kohleausstiegs verspricht der Strommarkt anpassungsfähiger zu werden. Denn Erneuerbare-Energien-Anlagen können technisch viel leichter abgeregelt werden können, ohne dass Sicherheits- oder Betriebsabläufe beeinträchtigt werden. Allerdings können diese eben auch nur in bestimmten Zeiten Strom zu produzieren. Wind und Sonne als wichtigste Energieträger brauchen daher Flexibilitätsoptionen als Partner. Daher sollten die Erzeugungspotenziale möglichst weit ausgenutzt werden und die erzeugte Energie dann eben über zusätzliche Verbraucher genutzt, mittels Speichern verschoben und mit klimafreundlichen, schnell regelbaren Erzeugern ergänzt werden.

Warum können negative Strompreise zum Problem werden?

Wer zum Zeitpunkt negativer Preise „kauft“, wird sogar dafür bezahlt, den Strom abzunehmen. Das heißt, Betreiber von Kraftwerken, die zu dieser Zeit Strom erzeugen, machen Miese, statt für ihr geliefertes Produkt entlohnt zu werden. Trotz der negativen Preise dürfen oder können viele dieser Erzeugungsanlagen nicht beliebig gedrosselt werden, sowohl konventionelle wie erneuerbare. Der Markt zeigt hier deutlich, dass es eigentlich zu wenig Steuerung bzw. Bedarf in diesen Situationen gibt.

Das Problem für den weiteren Erneuerbaren-Ausbau: Um die Ausgaben des EEG-Kontos – aus dem die EEG-Förderung bezahlt wird – zu reduzieren, gibt es bereits seit 2014 eine Regelung, die im Falle länger anhaltender Zeiträume mit negativen Strompreisen die Förderung kappt. Seit Jahresbeginn 2024 wird ab einem Zeitraum von drei Stunden mit negativen Preisen rückwirkend keine EEG-Förderung mehr gezahlt. Dies reizt an, Anlagen in solchen Situationen abzuschalten, um den Strommarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. (Private Kleinanlagen, wie sie zum Beispiel Eigenheimbesitzer:innen betreiben, sind von dieser Regel ausgenommen und erhalten weiter ihre Einspeisevergütung.) Allerdings macht der Entfall von Förderzeiträumen die Refinanzierung der Anlagen unsicherer, was den weiteren Ausbau hemmt. Zumal negative Preise in aller Regel genau dann auftreten, wenn viel Solarstrom im System ist und damit also genau die Zeiten trifft, in denen die meisten Energiemengen produziert und damit eigentlich die meisten Erlöse erwirtschaftet werden sollen.

Ein weiteres Problem ist eigentlich kein volkswirtschaftliches, aber ein politisches: Da die EEG-Förderung die Differenz von Einspeisevergütung/Marktprämie zu den Börsenstrompreisen abdeckt, steigt der staatliche Förderbedarf mit sinkendem Börsenpreisniveau (vgl. Infokasten). Die Verbraucher:innen profitieren zwar gleichzeitig von niedrigeren Stromtarifen, für diese ist es also mehr oder weniger ein Nullsummenspiel, aber steigende staatliche Fördersummen müssen eben erst einmal im Haushalt aufgebracht werden bzw. sorgen auch immer wieder für Debatten um die Ausgestaltung des EEG.

Wie reagiert die Regierung auf die Strommarktsituation?

Die wachsenden Zeiträume mit negativen Strompreisen zeigen den Bedarf an Flexibilität – und hemmen dadurch den Erneuerbaren-Zubau. Um dem entgegenzuwirken, plant die Regierung laut der „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“ weitreichende Änderungen im Strommarkt. Bereits ab 2025 und nicht wie bisher geplant ab 2027 soll die EEG-Förderung in Stunden negativer Preise für Neuanlagen gänzlich wegfallen – anders als bislang nicht erst ab der dritten Stunde, sondern unmittelbar.

Zusätzlich soll die Grenze, ab der Betreiber von EE-Anlagen den Strom selbst mittels Direktvermarktung auf der Strombörse verkaufen müssen, schrittweise von 100 auf 25 kWp installierter Leistung gesenkt werden. Für die Betreiber bedeutet dies merklich mehr Aufwand. Der Ausbau von mittelgroßen PV-Anlagen auf Gewerbedächern droht so wieder unattraktiver zu werden – besonders ärgerlich, weil die sogenannte gemeinschaftliche Gebäudeversorgung hier zuletzt vielversprechende Neuerungen brachte.

Grundsätzlich plant die Regierung einen Wandel der Förderlandschaft. Der neue Fokus soll auf Flexibilität und Speichern liegen. Wie die Reformen schlussendlich ausgestaltet werden, muss sich erst noch im weiteren Verfahren zeigen. Klar ist bereits, dass die Regierung kurzfristig Gas- und Wasserstoffkraftwerke als Back-up für das Energiesystem ausschreiben will.

Finn Rohrbeck
finn.rohrbeck@naturstrom.de

unterstützt seit Juni 2022 das Presseteam bei naturstrom. Zuvor arbeitete er im Veranstaltungsmanagement der Verbraucherzentrale NRW und beschäftigte sich dort mit den Themen Energie und Energieberatung.

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