Das Ende der Sektorenziele – Neues aus der Energiewende-Politik

Aktuell passiert sowohl im politischen Berlin als auch drüben in Brüssel so einiges in Sachen Energie(wende)-Politik. Manches davon gibt Grund zur Hoffnung im Hinblick aufs Erreichen des 1,5-Grad-Ziels – anderes eher weniger. Wir werfen einen Blick auf die jüngsten Entwicklungen, ordnen sie ein und verraten, wie viel Optimismus gerade wirklich angebracht ist.

Aus und vorbei: das (gar nicht mal so überraschende) Ende der Sektor-Jahresziele

„Wer seine Ziele erreichen will, muss Verantwortlichkeiten klar zuordnen“, sagt naturstrom-Vorstandsvorsitzender Oliver Hummel mit Blick auf den Beschluss der Koalitionspartner, die Einhaltung Emissionsminderungsziele künftig nicht mehr sektorenweise zu kontrollieren, sondern über den gesamten bundesdeutschen Emissionsausstoß hinweg.

Das bedeutet: Statt die Sektoren und ihre Emissionen einzeln abzurechnen, werden nun alle in einen großen Topf geworfen (auch wenn die Einzelbilanzen immerhin weiter ausgewiesen werden sollen). Emissionsintensive Ressorts ohne Minderung in Sicht profitieren also von besonders innovativer und klimafreundlicher Politikgestaltung in anderen Sektoren.

Einen Gefallen tun die Grünen und die SPD, die dem Drängen der FPD nachgegeben haben, vor allem Verkehrsminister Volker Wissing, denn gerade sein Sektor ist derjenige, der traditionell am festgefahrensten ist. Dabei sind die Lösungen für klimafreundlichere Mobilität längst bekannt und reichen von A wie Aus für Verbrennermotoren bis Z wie Zweirad.

Was wir stattdessen bekommen: mehr Autobahnen (genauer gesagt 144 auszubauende Autobahnabschnitte, wie Lindner in der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz verkündete), uninspiriertes Festhalten am Verbrenner mittels E-Fuels und ganz sicher kein Tempolimit.

Dass eine solche Reform des Klimaschutzgesetzes kommen würde, war abzusehen, da die Koalitionäre bereits im Koalitionsvertrag eine Überarbeitung vereinbart hatten.

Doch aufgeweichte Verantwortlichkeiten hin, Aufgabe sektorenspezifischer Ziele her: Die Bundesregierung hält an den übergreifenden Zielen fest ­– immerhin. Wie bislang geplant soll Deutschland weiterhin bis 2030 65 Prozent seiner CO2-Emissionen einsparen und bis 2045 gänzlich klimaneutral werden. Haupthebel dafür: der europäische Emissionshandel.

Bislang umfasst dieser vor allem die Energiewirtschaft und die Industrie, künftig sollen so aber auch Gebäude- und Verkehrsemissionen EU-weit bepreist werden. Das deutsche Brennstoffemissionshandelsgesetz mit seinen bis dato festen Preisen für jede ausgestoßene Tonne CO2 wird dazu in den ab 2027 EU-weit startenden Emissionshandel für eben diese Sektoren überführt.

Auf der Haben-Seite: neue Flächen für Windenergie

Aber auch an den Ergebnissen des Koalitionsausschusses war nicht alles schlecht. Vor allem in Sachen Erneuerbaren-Ausbau stellt das 16-seitige Papier weitere dringend benötigte Beschleunigung in Aussicht: So ermöglicht es beispielweise Industrieanlagen, künftig benachbarte Windkraft einfacher zu nutzen und stellt generell mehr Flächen für den Windkraftausbau zur Verfügung. Dazu zählen auch Flächen an bundeseigenen Verkehrswegen – insbesondere an den genannten Autobahn-Ausbauprojekten –, die in Zukunft möglichst mit Solar- und Windparks gesäumt werden sollen. Außerdem erhalten Kommunen die Möglichkeit, auf dem eigenen Gemeindegebiet Windprojekte zu realisieren, auch wenn die Flächen nicht in den eigentlich angedachten Eignungsgebieten enthalten sind.

Ein EUpdate für den Erneuerbaren-Ausbau

Apropos Erneuerbaren-Ausbau: Der war natürlich auch bei den Trilog-Verhandlungen Ende März zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Europäischem Rat zur Reform der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive, kurz RED  ) Thema. Das Ergebnis lässt sich durchaus sehen: Erneuerbare sollen nun bis 2030 verpflichtend einen Anteil von 42,5 Prozent am Energieverbrauchs in der EU ausmachen – und damit 10,5 Prozentpunkte mehr als bisher angepeilt. Durch zusätzliche freiwillige Beiträge kann der Anteil sogar auf 45 Prozent steigen. Für Deutschland bedeutet diese Zielvorgabe übrigens eine Verdopplung des Erneuerbaren-Anteils von derzeit 20,4 Prozent am Endenergieverbrauch auf über 40 Prozent bis 2030 –wohlgemerkt inklusive Wärme und Verkehr.

Ein weiterer Grund zum Optimismus: Die Regeln der Notfallverordnung, die Genehmigungsverfahren für den Windausbau deutlich vereinfachen und die bislang bis Juli 2024 befristet waren, bleiben uns erhalten – „überragendem öffentlichen Interesse“ sei Dank. Bedeutet: Um sowohl den Erneuerbaren- als auch den Netzausbau zu beschleunigen, soll in Vorranggebieten auch weiterhin auf zeitaufwendige Prüfschritte wie eine zweite Umwelt- und Artenschutzprüfung verzichtet werden, wenn bei der Planung bereits eine Prüfung stattfand. Aber keine Sorge: Natürlich bleibt das Naturschutzniveau hoch, angemessene Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen sind weiterhin ein Muss.

Gipfel-Ergebnisse

Auch jenseits von Koalitionsausschüssen und EU-Regelungen verfolgt das Wirtschaftsministerium seinen Erneuerbaren-Ausbau-Kurs beharrlich. Die EEG-Novelle 2021 hatte die Ziele bereits deutlich nach oben geschraubt, der reale Ausbau konnte dem bislang jedoch noch nicht folgen. Das könnte sich nach dem Auftaktgipfel im März nun ändern, bei dem spezifische Ausbaustrategien für Photovoltaik sowie Wind an Land vorgestellt wurden, aus denen im Laufe des Jahres entsprechende Gesetzespakete folgen sollen.

Insbesondere beim Wind ist noch viel zu tun, da hier Projekte langwieriger, das bisherige Ausbautempo deutlich weiter von den Zielen entfernt und der bisherige Strategieentwurf noch weit weniger detailliert als im Solarbereich ist.

Während die Ampel-Koalition sich auf die Aufgabe sektorenspezifischer Klimaschutzziele verständigt hat, hat der Trilog verbindliche (statt wie bisher freiwillig) Erneuerbaren-Ausbauziele für die verschiedenen Ressorts auf EU-Ebene beschlossen.  

 

Headerbild: (C) Deutscher Bundestag | Simone M. Neumann

Dominique Czech
dominique.czech@naturstrom.de

ist seit April 2018 dabei und schreibt für naturstrom über alles rund um die Energiewende. Jenseits des Büros bewegen sie die Themen Ernährung, Konsum und Mobilität – aber bitte in nachhaltig.

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