„Dank vieler, vieler Spenden können wir es uns leisten, unbequem zu bleiben“ – Alexander Trennheuser von Mehr Demokratie im Interview

16.05.2025

 – Dominique Czech

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Was haben Demokratie und Zimmerpflanzen gemeinsam? Beides verkümmert, wenn man sich nicht drum kümmert. Damit es unserer Gesellschaft nicht wie der einen oder anderen vergessenen Büropflanze geht, setzt sich der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ seit mehr als 30 Jahren für genau das ein: mehr Demokratie.

Wir haben Bundesgeschäftsführer Alexander Trennheuser zum Interview gebeten und mit ihm über seine persönliche Motivation für das Thema, die Geschichte des Vereins und seine Relevanz in aktuellen Zeiten gesprochen. Viel Spaß!

Hallo Alexander. Mehr Demokratie setzt sich seit 1988, damals gegründet unter dem Namen IDEE, für mehr Demokratie hierzulande ein. Warum?

Mehr Demokratie setzt sich seit 1988 für Beteiligung und direkte Demokratie ein.

Ich musste gerade lachen, weil wir im Büro diese Woche eine kleine Krisensitzung hatten. Unsere Büropflanzen gehen nämlich regelmäßig ein, weil sie keiner gießt. Dafür sind wir also offensichtlich keine Experten. Aber das Bild stimmt trotzdem: Wie eine Pflanze muss Demokratie gepflegt werden, braucht die richtige Erde und auch den Raum zum Wachsen. Hierzu Vorschläge zu entwickeln, zu schauen, welche Demokratieverfahren die Demokratie zum Wachsen und Gedeihen bringen, dafür gibt es uns.

Parteien haben bei dieser Frage oft auch ihre eigenen Interesse im Auge. Wir sind hingegen überparteilich.  Es reicht uns nicht, nur alle vier bis fünf Jahre ein Kreuz zu machen und danach nur noch zuzuschauen. In unserer Gesellschaft steckt so viel Wissen, so viele Kompetenzen – die sollen in politische Entscheidungen einfließen können. Die Weisheit der Vielen macht, wenn man sie richtig einsetzt, politische Entscheidungen besser!

Wie finanziert sich der Verein? Welche Rolle spielen Spenden?

Spenden, vor allen Dingen kleinere Spenden, spielen bei der Finanzierung unserer Arbeit eine riesige Rolle. Wir sind wirklich stolz darauf, unseren Verein zu einem ganz großen Teil aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanzieren zu können. Staatliches Geld bekommen wir nur für einige wenige Projekte. So bleiben wir eine parteipolitisch unabhängige Stimme für die Demokratieentwicklung und können es uns leisten, unbequem zu bleiben.

Aktuell ruft naturstrom im Rahmen der Initiative naturstrom demokratieplus dazu auf, für euren Verein zu spenden, wobei naturstrom jede Einzelspende bis 25.000 Euro verdoppelt. Das gespendete Geld kommt zwei Projekten bei euch zugute: der „Bürgerdebatte“ für gerechte Steuern und Finanzen und dem Projekt „Sprechen & Zuhören“. Erzähl uns doch bitte etwas über diese beiden Projekte.

Der neue Kanzler Friedrich Merz hat ja im Wahlkampf stets versprochen, dass die Schuldenbremse nicht angetastet wird. Das Ende, Stichwort Sondervermögen, ist bekannt. Dazu kann man stehen wie man will, Fakt ist aber, dass Bürgerinnen und Bürger hier nichts mitzuentscheiden hatten.

Hier steigt die „Bürgerdebatte gerechte Steuern und Finanzen“ ein. Im ersten Schritt zeigen wir, wo das Geld eines Bundeshaushalts eigentlich herkommt und wohin es fließt. Im zweiten Schritt diskutieren zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger, welche dieser Ausgaben sinnvoll sind und wo man nochmal genauer hinschauen oder das Geld anderweitig verwenden sollte. Dass Bürgerinnen und Bürger einen ganzen Bundeshaushalt durchschauen ist eine Riesen-Herausforderung. Aber wir haben uns da gute Methoden überlegt und trauen es den ausgelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmern absolut zu! Vielleicht wissen die sogar am Ende mehr als manche gewählte Vertreter.

Und das Projekt „Sprechen & Zuhören“?

Gesellschaftliche Spannungen nehmen zu und es gibt großen Bedarf an gut moderierten Räumen. Die wollen wir schaffen. Wir bringen mit dem Projekt „Sprechen und Zuhören“ Menschen verschiedener Hintergründe und auch mit gegensätzlichen Meinungen dazu, einander zuzuhören. Gemeinsam wollen wir eine wachsende Bewegung für demokratische Gesprächs-, Diskussions- und Debattenkultur gestalten – für Dialoge in Kommunen in ganz Deutschland.

Welche eurer Projekte liefen in der Vergangenheit besonders gut? Was waren eure größten Erfolge?

Mehr Demokratie hat in seiner Geschichte immer wieder per Volksbegehren die Landesparlamente zu Demokratie-Reformen bewegen können. In Bayern haben wir 1995 gegen den erbitterten Widerstand der CSU einen Volksentscheid gewonnen, wodurch dann Bürgerentscheide in bayerischen Städten und Gemeinden überhaupt erst eingeführt wurden. Ich glaube, das ist unser größter Erfolg. Denn die Regeln, die damals eingeführt wurden, sind bis heute gültig und wurden zum Vorbild für Reformen in anderen Bundesländern. Mittlerweile hat es in Bayern tausende kommunale Bürgerbegehren gegeben. Jedes dieser Bürgerbegehren ist ja ein demokratisches Erlebnis, das Bürgerinnen und Bürger in die Verantwortung nimmt, wodurch sie sich selbst als wirksam erleben.

Ein anderer Erfolg aus jüngster Zeit sind die Bürgerräte. 2019 haben wir den ersten bundesweiten Bürgerrat mit gelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmern organisiert und dieses Modell danach immer weiter entwickelt. Die Idee hat so sehr überzeugt, dass wir für den Bundestag 2023 den Bürgerrat Ernährung organisieren durften.

Seit 2006 arbeitet Trennheuser für den Verein, und wechselte 2020 in die Bundesgeschäftsführung.

Welche Rolle spielen die weltweiten politischen Entwicklungen für eure Arbeit?

Der Wind hat sich spürbar gedreht. Die Zahl der Demokratien geht weltweit zurück. Wir sind vernetzt mit Demokratie-Initiativen aus der ganzen Welt und bekommen über unsere internationalen Netzwerke geschildert, dass die Luft spürbar dünner wird. Mein persönlicher „turning point“ war  eine Konferenz in Taiwan 2019, wo Demokratie-Aktivistinnen und -Aktivisten aus Hongkong uns die Repressalien  schilderten, denen sie ausgesetzt sind. Danach hatte ich drei Tage lang einen Kloß im Hals – mir ist klar geworden, dass es mit der Demokratie-Entwicklung auf der Welt mitnichten immer nur aufwärts geht. Umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland und Europa zusammenstehen und Demokratie nicht als selbstverständlich nehmen, sondern ihr auch die Gelegenheit zum Wachstum zu geben.

Wie blickt ihr auf die Zukunft? Was wünscht ihr euch für unsere Demokratie und euren Verein?

Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen Zeit nehmen, sich demokratisch zu engagieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, sei es in einer Partei, einer Bürgerinitiative oder einem Verein – am liebsten natürlich bei Mehr Demokratie. Aber jedes Engagement ist erstmal richtig. Das Großartige an Demokratie ist ja auch, dass man selbst entscheiden darf, was einem wichtig ist und wofür man sich einsetzen will.

Vielen Dank für deine Zeit!

Na, auch Lust bekommen, für Mehr Demokratie e.V. zu spenden und naturstrom verdoppeln zu lassen? Hier geht’s zur Spendenaktion bei Betterplace.org.

  • ist seit April 2018 dabei und schreibt für naturstrom über alles rund um die Energiewende. Jenseits des Büros bewegen sie die Themen Ernährung, Konsum und Mobilität – aber bitte in nachhaltig.

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2 Antworten

  1. Tolles Interview! Es zeigt, wie wichtig kontinuierliches Engagement für unsere Demokratie ist. Die Projekte von „Mehr Demokratie“ machen Bürgerbeteiligung greifbar und fördern echte Dialoge. Genau das, was unsere Gesellschaft jetzt braucht. Danke für die wertvollen Einblicke!

    1. Danke für die lieben Worte, Felix! Wir haben uns auch sehr über die Einblicke von Mehr-Demokratie-Bundesgeschäftsführer Alexander Trennheuser gefreut und sind uns sicher: Wir haben genau den richtigen Verein für die Premiere von naturstrom demokratieplus ausgesucht. 🤝

      Bloß das mit der Pflanzenpflege müssen sie wohl noch etwas üben. 🌱💀

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