Warum wir (manchmal sogar mehr) Lobbyismus brauchen

Hallo, mein Name ist Sven und ich bin Lobbyist. Damit assoziieren wahrscheinlich einige dunkle Machenschaften und düstere Hinterzimmertreffen. Warum das aber oftmals gar nicht zutrifft und weshalb es notwendig ist, dass sich Verbände- und Unternehmensvertreter*innen um die Politik scharen – bei manchen Themen vielleicht sogar noch mehr als bisher –, beleuchte ich in diesem Beitrag.

Hand aufs Herz: Als Kind habe ich auf die Frage, was ich einmal werden wolle, ganz sicher nicht „Lobbyist“ geantwortet. Und auch wenn ich schon immer an (Klima-) Politik interessiert war – auch zu Abitur- oder Studienzeiten habe ich die Frage nach dem Wohin (die man als Politikwissenschaftler wirklich oft zu hören bekommt) sicher anders beantwortet. Lobbyist*innen, das sind doch Menschen, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind und die ehrbare Abgeordnete auf falsche Wege zu führen versuchen. So denken wahrscheinlich viele. Und ja, oft genug führt politische Einflussnahme durch Verbände, Agenturen, Think Tanks und Unternehmen tatsächlich zu Ergebnissen, die Parlamente und Regierungen vielleicht nicht ganz im Sinne ihrer Wählerschaft treffen – aber dennoch ist diese Einflussnahme legitim und häufig auch notwendig.

Interessenvertretung ist ein Teil der Demokratie

Eines der größten Probleme beim Lobbyismus ist die mangelnde Transparenz – ein Grund mehr, dass sich Einflussnehmer*innen auch zu ihrer Einflussnahme bekennen sollten. Denn eigentlich ist Lobbyismus ja auch gar nichts Schlimmes, sondern gehört zur Demokratie.

Demokratie basiert auf dem Willen der einzelnen Menschen. Alle haben die gleichen Rechte, sich für ihre Interessen einzusetzen, zum Beispiel alle vier bis fünf Jahre über Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen. Wem das nicht genug ist, engagiert sich darüber hinaus zum Beispiel in einer Partei, einem Verein oder einer Bewegung. Denn: Eine Demokratie basiert darauf, dass jede*r für die eigenen Interessen und Lebensvorstellungen einsteht, also für diese lobbyiert.

Lobbyismus, wie wir ihn als Schlagwort und aus den Medien kennen, entsteht dann, wenn diese individuellen Interessen gebündelt an die Politik herangetragen werden. Diese Bündelung erhöht die Chancen, dass Anliegen auch wirklich im politischen Betrieb Gehör finden. Außerdem macht sie einen organisierten Politikbetrieb, der ja nicht jede Einzelstimme abfragen kann, erst möglich.

Politik benötigt den Austausch mit der Praxis

Es gibt aktuell 709 Bundestagsabgeordnete. Hinzu kommen die Mitglieder der Landes- und Kommunalparlamente sowie die Exekutive mit ihrer Vielzahl an Beamten. Der Arbeitsbereich Politik im engeren Sinne macht also durchaus ein paar zehntausend Menschen aus, was im Vergleich zur Gesamtbevölkerung aber immer noch verschwindend wenig ist und die dennoch über alle in der Republik anfallenden Themen von A wie Arbeit und Beschäftigung bis W wie Wissenschaft, Forschung und Technologie entscheiden sollen und müssen. Natürlich können sie nicht alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belange von über 80 Millionen Deutschen en détail im Blick haben. Daher fungieren Lobbyistinnen und Lobbyisten auch als eine Art Scharnier zwischen dem politischen Betrieb und gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Gruppen: Denn sie formulieren und platzieren nicht nur Interessen, sondern prüfen gleichzeitig politische Regelungsabsichten auf ihre Wirksamkeit und gleichen diese mit realen Auswirkungen ab.

Das funktioniert in etwa so: Ziel eines Rechtsstaates ist es, die Wirklichkeit mit Gesetzen einzufangen und zu lenken. Dafür müssen sie wohl durchdacht und gut formuliert sein. Andernfalls kommt es zu Unsicherheiten oder gar ungewünschten Folgen. Damit die nicht auftreten, gehört zu jedem Gesetzgebungsvorhaben ein institutionalisiertes Anhörungsverfahren, an dem die betroffenen Lobbyistinnen und Lobbyisten teilnehmen, um ihre Anliegen zu vertreten. Dem Gesetzgeber obliegt es dann, diese gegeneinander abzuwägen. Das führt idealerweise zu einer ausgeglichenen, sauber formulierten und damit besseren Gesetzgebung – und die ist gerade in einem so stark von staatlichen Rahmensetzungen abhängigen Wirtschaftsbereich wie der Energieversorgung entscheidend.

„Lobbying for good“

Selbstverständlich kann man Lobbyismus auch inhaltlich bewerten. Zunächst ist natürlich jede Lobbytätigkeit von bestimmten Motivationen getrieben, dennoch könnte man allgemein vielleicht zwischen den Lobbyakteuren unterscheiden, die tatsächlich nur Partikularinteressen vertreten (wie es beispielsweise ein fiktiver Verband der Porschefahrerinnen und -fahrer tun würde) und jenen, die doch ein breiteres gesellschaftliches Anliegen formulieren bzw. sich am Gemeinwohl orientieren. Erstere vertreten sicher ein für manche Menschen wichtiges Anliegen, aber man kann kaum sagen, dass die Menschheit einen besonderen Schaden erleiden würde, wenn Porschefahren eingeschränkt würde. Es ist natürlich legitim, sich dafür einzusetzen, aber es gibt eben auch Lobbyarbeit, die auf größere Ziele ausgerichtet ist. Für diese Sparte, die sich oft sozialen Themen sowie Umwelt und Klima widmet, hat sich mit „lobbying for good“ sogar ein eigener Fachbegriff entwickelt.

Klassischerweise gehören dazu Sozial- und Umweltverbände, aber es gibt durchaus auch einzelne oder gruppierte Unternehmen, die sich für objektive Verbesserungen für alle einsetzen. Ein Beispiel sind etwa die Entrepreneurs For Future: Hier haben sich bereits über 4.500 deutsche Unternehmen zusammengeschlossen, um gemeinsam bessere Rahmenbedingungen im Kampf gegen die Klimakrise zu fordern. Solche Initiativen können sicher auch mal allein aus Greenwashing-Gründen entstehen, aber Wirtschaftsakteure oder -vereinigungen können sich eben durchaus auch ernsthaft gesellschaftlichen Bewegungen anschließen, was dann sogar die Durchsetzbarkeit der Forderungen erhöht.

Und wie sieht das bei uns aus? NATURSTROM setzt sich politisch für die dezentrale, bürgernahe Energiewende ein. Zugegeben: Das machen wir nicht ganz uneigennützig, schließlich wollen wir in diesem Segment wirtschaftlich wachsen und mit unserem Beitrag zum Klimaschutz Geld verdienen. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass unsere Ansätze nicht nur uns zu als Unternehmen zu Gute kommen, sondern auch einen Mehrwert für die Gesellschaft und den Planeten bieten. Und das vertreten wir manchmal sogar dann, wenn wir selbst nicht unmittelbar davon profitieren: Zum Beispiel wenn wir uns für den schnelleren Ausbau von Photovoltaik auf Privatdächern und einfacheren Eigenverbrauch einsetzen, obwohl wir so vielleicht die eine oder andere Kilowattstunde Ökostrom aus dem Netz weniger absetzen können.

Gegengewichte im Meinungskampf

Traurig, aber wahr: Die Gegner*innen von Energiewende, Klimaschutz und Co. sind gut organisiert, nah am politischen Betrieb und setzen ihre Agenda ohne Rücksicht auf das große Ganze um. Da gilt es mitzuhalten, um Umweltschutz oder sozialen Belangen Gehör zu verschaffen.

Der Blick auf die energiepolitische Vergangenheit bietet hier viele Beispiele und zeigt entsprechend, wie wichtig Lobbyarbeit „von der anderen Seite“ ist. Noch vor gut 20 Jahren haben Atom- und Kohlekraftwerken das Energieversorgungssystem geprägt. Und die marktbeherrschenden Konzerne wie auch große Teile der Politik sahen keinen Grund, daran groß etwas zu ändern, obwohl sich die Bevölkerung klar gegen Atomkraft aussprach. Zu verdanken haben wir den bald abgeschlossenen Atomausstieg deshalb vor allem gemeinwohlorientierten Bewegungen, die durch Druck auf die bzw. Engagement in der Politik ein Umdenken bei den Entscheiderinnen und Entscheidern in Gang brachten. Ähnliches erleben wir gerade beim Kohleausstieg – inklusive macht- und umsatzhungriger Partikularinteressen, die trotz der klaren Erkenntnisse zur Klimaschädlichkeit noch nicht von dieser umweltschädlichen Technologie lassen wollen.

Die Novelle zum EEG2021 als Beispiel

Habt ihr euch mal gefragt, wie es sein kann, dass sich zwar die überwiegende Mehrheit einig darüber ist, dass wir mehr Erneuerbare Energien brauchen, die Fortgang der Energiewende aber immer noch nicht so schnell geht, wie er könnte und müsste?

Ein konkretes Beispiel für Lobbyarbeit ist die gerade anstehende Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG. Das Gesetz hat die Energiewende in Deutschland maßgeblich geprägt und soll auch weiter ein zentrales Steuerungsinstrument sein. Entsprechend hoch sind die Erwartungen und Interessen bei der Reform des Gesetzes, schließlich soll die Novelle nicht nur den Erneuerbaren-Ausbau beschleunigen, sondern auch Themen wie die Digitalisierung der Energiewende und den Umgang mit ausgeförderten Anlagen regeln.

Die Reaktionen auf den Ende September vorgestellten Entwurf fielen überwiegend enttäuscht aus. Was die grundsätzliche Bewertung anging, waren sich fast alle einig: zu langsam, zu wenig, zu kompliziert. In einem Akt der Lobbyarbeit hat etwa Dr. Thomas Banning, Vorstandsvorsitzender von NATURSTROM, per Pressemitteilung gefordert, den Energiewende-Akteuren mehr zuzutrauen.

Da inzwischen auch ein Großteil der Wirtschaft erkannt hat, dass es mehr Klimaschutz und dafür eine schnellere Energiewende braucht, ergab sich bei diesem Reformprozess die seltene Situation, dass sich die Unternehmen, deren Verbände sowie NGOs – und damit deren jeweilige Lobbyist*innen – einig darüber waren, dass die Energiewende schneller als im EEG-Entwurf vorgesehen über die Bühne gehen müsste ,und so gemeinsam die Menschen in Ministerien und Parlamenten angetrieben haben. Beim Wie und den Prioritäten herrscht aber weiter Uneinigkeit – aber das macht ja auch den Politikbetrieb so spannend.

Ein Detail in diesem Gesetzgebungsverfahren betrifft beispielsweise Weiterbetriebsregelungen für ab Ende 2020 ausgeförderte Windenergieanlagen. Auf der einen Seite im Ring: Konservative Kräfte sowie Vermarkter von Ökostrom. Sie sind eher gegen politische Auffanglösungen und wollen den Weiterbetrieb allein dem Markt überlassen, wodurch aber die Abschaltung vieler Anlagen riskiert wird. In der anderen Ecke: Betreiber*innen der Altanlagen und generell Klimaschutzinteressierte, die eine aus Abschaltungen resultierende Delle in der Ökostromerzeugung mit einer staatlich garantierten Weiterförderung vermeiden wollen.

Und NATURSTROM? Da wir sowohl Betreiber als auch Vermarkter von Windenergieanlagen sind, stehen wir irgendwo dazwischen: Wir freuen uns über günstigen Windstrom zur Belieferung unserer Kundinnen und Kunden – wollen aber gleichzeitig nicht, dass die Preise so tief fallen, dass sich der Weiterbetrieb finanziell nicht mehr lohnt. Eine Sorge, die vor allem durch coronabedingt geringe Börsenstrompreise aktuell viele Windmüller plagt, deren Anlagen kaum die Betriebskosten wieder reinholen. Wir finden: Marktliche Lösungen und eine Anschlussförderung müssen sich nicht ausschließen. Deshalb haben wir einen Vorschlag für eine Auffanglösung entwickelt, der beide Perspektiven vereint – und der so zugleich ein gutes Beispiel für ein Lobbypapier liefert. Eine Wind-Anschlussförderung hat es schlussendlich ins EEG geschafft, allerdings deutlich anders als von uns vorgeschlagen. Immerhin aber ein Teilerfolg für unsere Lobbybemühungen. 😉

Lobbying ist legitim – braucht aber Leitplanken!

Der Versuch politischer Einflussnahme ist wie beschrieben also legitim und wenn es um das trotz seiner überragenden Bedeutung oft schlecht vertretene Allgemeinwohl geht sogar dringend nötig. Dennoch braucht es klare Regeln. Korruption ist zurecht eine Straftat, aber auch die Annahme gutbezahlter Jobs in der freien Wirtschaft nach einer politischen Karriere hinterlässt einen faden Beigeschmack und braucht entsprechende Vorgaben. Nicht umsonst hat beispielsweise der Europarat kürzlich mehr Transparenz bei politischen Einflussnahmen und stärkere Kontrollmöglichkeiten für die Öffentlichkeit gefordert – etwa durch ein Lobbyregister. Ein Vorschlag, den wir gerne unterstützen. Denn nur mit Transparenz, Ehrlichkeit und Fairplay wird es gelingen, das schlechte Image, das Lobbyistinnen und Lobbyisten haben, abzuschütteln. Damit ich in Zukunft mit Überzeugung und ohne schräge Blicke zu ernten sagen kann: Hallo, mein Name ist Sven und ich bin Lobbyist.

Sven Kirrmann
sven.kirrmann@naturstrom.de

Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.

2 Kommentare
  • Kirrmann Rolf Steuerberater
    Gepostet um 09:15h, 31 Dezember Antworten

    Ein Beitrag, der endlich mal einleuchtend darlegt, was Lobbyismus bedeutet und dass dies in der politischen Landschaft dazugehört, um eine angemessene Bürgerpolitik zu erreichen. Ohne Lobbyismus kann man keine zielorientierte Politik betreiben, auch wenn manchmal das Eigeninteresse vorherrscht.

  • Pingback:„Das Osterpaket ist eine sehr ordentliche Zwischenbilanz“ – Sven Kirrmann zum EEG 2023 -  NATURSTROM Blog
    Gepostet um 12:18h, 11 April Antworten

    […] wie jetzt beim EEG 2023. Ich will das aber gar nicht verteufeln, und dass nicht nur deshalb nicht, weil es ja auch mein Job ist, bei entsprechenden Debatten mitzuwirken. Nein, Interessenvertretung ist erst einmal grundsätzlich […]

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