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Waldspaziergang Hambacher Forst

Von Waldspaziergängen und roten Linien im Hambacher Forst: ein Interview mit dem Waldpädagogen Michael Zobel

14.02.2017

 – Miriam Ersch-Arnolds

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Wind und Sonne leisten einen immer größeren Beitrag zu unserer Stromversorgung – trotzdem produzieren alte Kohlekraftwerke weiter unvermindert dreckigen, umwelt- und klimaschädlichen Strom. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die deutsche Klimabilanz, sondern befördert auch ganz konkret die Zerstörung eines schützenswerten Waldes, des Hambacher Forsts bei Köln. Für dessen Erhalt setzten sich seit vielen Jahren tausende Menschen ein. Wer diese Menschen sind und was sie bewegt, erzählt der Waldpädagoge Michael Zobel. Viele von ihnen hat er selbst durch den Wald geführt.

Seit mehreren Jahren veranstalten Sie im Hambacher Forst sogenannte Waldspaziergänge. Wie kam es dazu und was darf man sich darunter vorstellen?

Die Waldspaziergänge im Hambacher Wald veranstalte ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin seit Mai 2014. Als Naturführer und Waldpädagoge bin ich fast „rund um die Uhr“ mit unterschiedlichsten Gruppen aller Altersgruppen vor allem rund um Aachen unterwegs. Im Hambacher Wald möchte ich zeigen, dass nicht nur in Brasilien oder in anderen weit entfernten Naturräumen gigantische Umweltzerstörung geschieht, sondern genauso direkt vor unserer eigenen Haustür. Ich möchte den verbliebenen Wald zeigen, möchte Begegnungen und Gespräche ermöglichen, die ansonsten nicht oder nur schwer möglich sind. Zum Beispiel Begegnungen zwischen „Normalbürgern“ und Waldbesetzern, zwischen RWE-Mitarbeitern und Klimaschützern. Und wir gehen zur Rodungskante und zeigen sehr eindrucksvoll, wie hier im Rheinland Profite auf Kosten unserer gemeinsamen Lebensgrundlagen und kommender Generationen gemacht werden.

Hinter den gerodeten Flächen beginnt der Tagebau. Foto: Michael Zobel.

Warum ist der Hambacher Forst so schützenswert?

Der Hambacher Wald war der größte Wald im Rheinland. Aufgrund seiner Zusammensetzung handelt es sich um einen Stieleichen-Hainbuchen-Maiglöckchenwald, in dieser Art einer der letzten in Mitteleuropa. 142 geschützte Tierarten leb(t)en hier. Nach der Naturschutz-Richtlinie der EU, der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, hätte der Hambacher Wald niemals gerodet werden dürfen. Er ist allerdings von den zuständigen Regierungen nie als schützenswerte Fläche gemeldet worden.

Wie viel Wald wurde bereits für die Kohle gerodet, und wie viel soll noch gerodet werden?

Die Zahlen gehen etwas auseinander, die ursprüngliche Fläche umfasste etwa 6000 Hektar, davon sind noch etwa 700 Hektar übrig, fast 90 Prozent sind unwiederbringlich vernichtet. Am Ende sollen noch etwa 300 Hektar übrig bleiben.

Was sind das für Leute, die an den Spaziergängen teilnehmen und warum sind sie mit dabei?

Bei den Spaziergängen waren bisher 5822 kleine und große Menschen dabei. Menschen jeden Alters, von 12 Tagen bis 90 Jahren. Und mit unterschiedlichsten Anreisewegen, aus der näheren Umgebung der Tagebaue bis Aachen, Köln und Bonn, aber auch aus Berlin, Hamburg, München, dazu viele Menschen von weither, Peru, Sibirien, Philippinen, Nicaragua, Kalifornien. Junge Klimaaktivisten sind genauso dabei wie Politiker, RWE-Mitarbeiter und jugendliche Autonome, Polizisten und Wissenschaftler, Familien mit Kindern und Künstler. Alle möchten sich ein eigenes Bild machen. Und ein wachsender Anteil der Gruppen möchte genauso eine wachsende Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik und der sehr langsamen Umsetzung der Energiewende bekunden.

Am 19. Februar findet unter dem Motto „Sei die Rote Linie!“ eine Protestaktion gegen die Rodung des Hambachers Forstes statt – was ist für diesen Tag geplant?

Im Oktober 2016 gab es die erste Aktion ROTE LINIE. Damals ging es darum, RWE dazu zu bewegen, die Trasse der ehemaligen A4 als Grenze der Rodungen zu akzeptieren, zumindest für eine Denkpause. Eine sagenhafte Zahl von 1000 Menschen war am 23. Oktober dabei, es gab eindrucksvolle Bilder, ein überaus positives Echo in der regionalen und überregionalen Presse.

Gegen alle Appelle eines breiten Bündnisses hat RWE diese Grenze in der aktuellen Rodungssaison überschritten. Nun wollen wir zum Ende der Rodungssaison das Symbol ROTE LINIE nochmals aufnehmen und visualisieren. Es wird wieder eine sehr große Gruppe, alleine drei Reisebusse sind schon angemeldet, aus Köln, aus Belgien und aus Holland. Und wieder wird es im Anschluss an die Waldführung eine ROTE LINIE geben, entlang der ehemaligen A4-Trasse. Mit roten Luftballons, roten Textilien, roten Fahnen und Transparenten, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Der Waldspaziergang am 19. Februar ist der Auftakt zu einem großen „ROTE-LINIE-Jahr 2017“. Und alle Menschen, denen der Rest des Hambacher Forstes am Herzen liegt, sind eingeladen, teilzunehmen und möglichst viele Freunde und Bekannte mitzubringen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Zobel!

  • arbeitete bis Februar 2019 in der Pressestelle von NATURSTROM. Ihre Begeisterung für das Thema Nachhaltigkeit wurde während ihrer Zeit als Mitarbeiterin einer Fairhandels-Organisation geweckt und begleitet sie bis heute auch ehrenamtlich. E-Mail

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