Im 125. Jubiläumsjahr des NABU (Naturschutzbund Deutschland) e. V. gehen wir bei naturstrom gemeinsam neue Wege und starten ein partnerschaftliches Biodiversitätsprojekt im Solarpark Nochten. Damit findet zusammen, was im Kern schon immer zusammengehörte: aktiver Naturschutz in direkter Verbindung mit Erneuerbaren-Energie-Anlagen.
Vielfältige Lebensräume und Arten, gute Luft, sauberes Wasser, gesunde Böden. Das sind die Kernziele des NABU seit seiner Gründung im Jahr 1899. Sie werden auf vielfältige Weise verfolgt und vorangetrieben, vor allem in den Bereichen Forschung, Bildung, Öffentlichkeitsarbeit – und natürlich durch aktiven Naturschutz.
99 Jahre später steht bei der Gründung von naturstrom der Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft ebenfalls im Mittelpunkt; auch Mitglieder des NABU waren an diesem 16. April 1998 an der Grundsteinlegung beteiligt. Bis heute arbeiten wir aktiv an der Umsetzung dieser Vision, haben über 350 Projekte realisiert und verlieren dabei nie die Interessen von Mensch und Natur aus den Augen. Unser erklärtes Ziel: der Aufbau einer zukunftsfähigen, umweltschonenden und sicheren Energieversorgung für ganz Deutschland.
Doch dieser Auf- und Ausbau bringt gelegentlich auch Konflikte mit sich. Denn selbst die Errichtung einer klimafreundlichen Freiflächenanlage zur Erzeugung Erneuerbarer Energien ist ein Eingriff in die Natur und kann leider – so wie jedes Bauvorhaben – negative Auswirkungen auf den Lebensraum von Pflanzen und Tieren haben. Die Kompensation über Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist im Bundesnaturschutzgesetz grundsätzlich festgeschrieben. Doch diese benötigen meist zusätzliche Flächen.
Warum also nicht die Anlage selbst naturschutzfachlich aufwerten?
Zusammen mit dem NABU wollen wir dieses Potential nun endlich heben und eine unserer Photovoltaik-Freiflächenanlagen zum Ausgangspunkt naturschutzfachlicher Untersuchungen machen. In der Nähe des Solarparks Nochten erklärte sich die NABU-Regionalgruppe Weißwasser bereit, uns aktiv dabei zu unterstützen.
In Nochten werden seit Herbst 2022 auf knapp 14 Hektar Fläche und in unmittelbarer Nähe eines Braunkohletagebaus jährlich rund 19 Mio. kWh sauberer Strom erzeugt. 8.000 Tonnen CO2 werden auf diese Weise jedes Jahr eingespart – wäre es nicht großartig, ein grünes Kraftwerk dieser Art noch grüner zu machen?
Dabei gilt es nun nicht nur, diese eine Anlage sinnvoll im Hinblick auf Biodiversität aufzuwerten, sondern einen universell anwendbaren Ansatz für die umweltverträglichere Konzeption von Photovoltaik-Freiflächenanlagen zu finden.
Im April trafen wir uns das erste Mal mit den Kolleg:innen vom NABU zum Kennenlernen vor Ort im Park, im Juni dann in großer Runde, um einen Plan zur gemeinsamen Kommunikation auszuarbeiten und das weitere Vorgehen zu besprechen. Beide Seiten machten deutlich, die Chance zum nachhaltigen Erkenntnisgewinn bestmöglich nutzen zu wollen und brachten aktiv zahlreiche Vorschläge zur Gestaltung des Projektes ein.
Nur wenige Wochen später folgte dann die Vorstellung des Maßnahmenkataloges durch den NABU: Nach einem umfassenden Monitoring im Frühjahr 2025, bei dem neben der Vegetation auch Tagfalter, Heuschrecken und Vögel dokumentiert werden, soll der Park in vier Untersuchungsbereiche aufgeteilt werden. In diesen Bereichen wird zum einen eine unterschiedliche Einsaat erfolgen, zum anderen sollen unterschiedliche Mahd- und Beweidungskonzepte Anwendung finden. Ein Blick auf den Vorentwurfsplan veranschaulicht die Idee.
Der Grund für diese Unterteilung ist der Wunsch nach vergleichbaren Ergebnissen. Werden sich in der Hälfte mit Wildkräutern mehr Insekten finden als in jener, wo eine Standardmischung eingesät wurde – oder sind es einfach nur andere? Welchen Einfluss haben die Ausscheidungen der Schafe auf die Bodenqualität und den Artenreichtum? Und ist es möglich, durch das Mähen der Fläche mit anschließendem Abräumen des Grasschnitts, die zu hohe Nährstoffdichte im Boden zu reduzieren? Hat dies messbare Auswirkungen auf die Vegetation? Und welche Arten können bereits jetzt, vor der Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen, im Solarpark gefunden werden?
Um diese Fragen beantworten zu können, braucht es mehr als ein Monitoring des direkt Sichtbaren. Im April nahmen wir deswegen erste Bodenproben und ließen diese auf ihre chemische Zusammensetzung hin untersuchen. Das Ergebnis war eindeutig: Der ehemalig konventionell bewirtschaftete Acker ist stark überdüngt, Phosphor und Kalium sind teilweise erhöht und auch der Anteil von Stickstoff wird vom Labor als „extrem hoch“ bewertet.
Nach diesen deutlichen Ergebnissen entschieden wir uns für eine weitere Bodenanalyse – diesmal mit Blick auf das Bodenleben und die Mikrobiologie. Mit GPS-Navigation, Kühlbox und Einstichraster sammelten wir im September noch einmal 40 weitere Proben, wobei sich bereits an der geplanten Vierteilung der Fläche orientiert wurde. Je zehn Entnahmen wurden zu einer Mischprobe zusammengeführt und im Labor auf Bakterien, Pilze sowie Mikro- und Mesofauna untersucht, die Ergebnisse erwarten wir mit großer Spannung. In spätestens drei Jahren sollen sowohl die chemischen als auch die biologischen Bodenanalysen dann wiederholt und verglichen werden.
Ergänzend zur unterschiedlichen Behandlung der Fläche selbst sollen im Park diverse Angebote für die lokale Tierwelt errichtet werden. Hecken, Nisthilfen, Ansitzstangen für Greifvögel – die Liste mit Ideen ist lang. Offene Bodenstellen sollen auch in Zukunft von Bewuchs freigehalten werden, andere Bereiche dürfen bewusst etwas wuchern. Eine diverse Umwelt ermöglicht diverses Leben.
Bei der Auswahl der Maßnahmen steht neben den ökologischen Effekten generell auch die Frage nach den Kosten im Raum. Zudem muss die Funktionalität des Solarparks erhalten bleiben, Module dürfen nicht beschädigt oder verschattet werden. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erfolgt die Pflanzung von Hecken ausschließlich an gen Norden ausgerichteten Zäunen. Es werden außerdem eher wenig austreibende Arten bevorzugt, die keiner zu häufigen Pflege bedürfen. Größere Stauden sind ausschließlich auf einer Wiese außerhalb des Zaunes im Südosten geplant, die Fläche gehört offiziell zum Solarpark Nochten dazu.
Man könnte auf zahlreiche weitere Details eingehen. Auf diese eine Modulreihe im Nordosten, die höher ist als die anderen und zu ihren Füßen vermutlich eine besondere Vegetation ermöglichen wird. Auf die unzähligen und teils gigantischen Kreuzpinnen, die im September zur Hochzeit des Altweibersommers in den Ritzen und Winkeln der Modultische leben und den Park mit ihren Netzen beinahe unpassierbar machen. Oder auf den Stierkäfer, das Insekt des Jahres 2024, der beim ersten gemeinsamen Besuch des Solarpark entdeckt wurde und dessen Vorkommen in Nochten als gutes Omen für das gesamte Vorhaben gewertet werden kann.
Doch wir möchten den Erkenntnissen, die uns bei der Kartierung nächstes Frühjahr erwarten nicht zu weit vorgreifen. Es wird spannend bleiben zu ermitteln, welches Potential Solarparks nicht nur im Bereich Klimaschutz, sondern auch bei der Förderung von Biodiversität vor Ort haben können. Damit zusammenkommt, was eigentlich schon immer zusammengehörte.
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