Kohleausstiegsgesetz: Zu viel Kohle für zu wenig Ausstieg

Ein Anfang ist gemacht! Am 3. Juli hat der Deutsche Bundestag den Kohleausstieg endlich final beschlossen und damit ein spätestes Enddatum für die Kohleverstromung hierzulande festgelegt. Das macht endgültig klar, dass die NATURSTROM-Vision von 100 Prozent Erneuerbaren Energien keinesfalls mehr eine Utopie, sondern der Fahrplan für die kommenden Jahre ist. An den Details des Ausstiegs gibt es aber viel Kritik – zurecht. Wir werfen mit euch einen Blick auf den Weg, den das Kohleausstiegsgesetz in den letzten Jahren zurückgelegt hat und verraten euch, was es für die Energiewende bedeutet.

„Das Kohlezeitalter in Deutschland gehört der Vergangenheit an, die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien!“, freute sich der NATURSTROM-Vorstandsvorsitzende Dr. Thomas E. Banning über die Entscheidung. Dieser Beschluss ist ohne Frage einschneidend und ein Meilenstein für die deutsche Energiewende – und beinhaltet doch gleichzeitig längst nicht genug Klimaschutzes, weshalb unser Vorstand im gleichen Atemzug auch sein Unverständnis darüber äußert, dass die amtierende Regierung nur so zaghaft an die Umsetzung des eigentlich glasklaren Energiewende-Weges geht. Wie kann ein Gesetz gleichermaßen so notwendig und so unzureichend sein? Gleichzeitig die Weichen Richtung Erneuerbare stellen und die eigentlich möglichen und nötigen  Entwicklungen verschleppen? Lasst uns auf Spurensuche gehen.

Die Wurzeln des Kohleausstiegsgesetzes

Dr. Thomas E. Banning, NATURSTROM-Vorstandsvorsitzender © Roland Horn

Dass Kohlestrom und Klimaschutz nicht kompatibel sind, ist natürlich allen schon lange klar, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen.

Trotzdem kamen erste Ansätze, diese Erkenntnis in Regierungshandeln umzusetzen, in Deutschland erst mit den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 auf. Wir erinnern uns: Damals bahnte sich zunächst eine Jamaika-Koalition an. In deren schon fast fertig verhandeltem Koalitionsvertrag war nach hartem Ringen ein kurzfristiger Abbau von sieben Gigawatt (GW) Kohleleistung vereinbart. Das wäre ein ordentlicher Fortschritt beim Klimaschutz gewesen. Aber zu früh gefreut: Es folgte die plötzliche Weigerung der FDP zur Regierungsbildung und aus sieben abzubauenden GW wurden null.

Stattdessen verhandelten Union und SPD Anfang 2018 nun doch über eine Fortführung der Großen Koalition. Der daraus resultierenden Koalitionsvertrag thematisierte den Kohleausstieg zwar auch, machte dann allerdings keine konkreten Vorgaben. Stattdessen wurde eine Kommission versprochen, die „einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen“ ausarbeiten sollte.

Wann kommt das Kohleausstiegsgesetz? Eine Kommission zeichnet den Weg vor

Nachdem die Große Koalition dann im Frühjahr 2018 erneut ihre Arbeit aufgenommen hat, wurde diese „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, kurz Kohlekommission, immerhin vergleichsweise schnell Anfang Juni eingesetzt. Insgesamt 28 Vertreterinnen und Vertreter aus ganz unterschiedlichen Gruppen, von Umweltverbänden bis hin zu Kraftwerksbetreibern, hatten bis Ende 2018 zur Aufgabe, einen detaillierten Plan zum Kohleausstieg auszuarbeiten. Dieser sollte neben energiepolitischen auch wirtschaftliche, strukturelle und soziale Aspekte umfassen. Das Timing hat zwar nicht ganz geklappt, denn der Abschlussbericht wurde mit ein paar Wochen Verspätung Ende Januar 2019 vorgelegt, doch den inhaltlichen Auftrag erfüllte die Kommission sehr ordentlich: Auf fast 280 Seiten zeichnete sie detailliert vor, wie ein gemeinsam getragener Kohleausstieg aussehen könnte. Trotz schmerzhafter Kompromisse wurde der Bericht von allen Beteiligten getragen. Größtes Manko aus Klimaschutzsicht war sicherlich das späte Enddatum beim Kohleausstieg. Erst 2038 sollte das letzte Kraftwerk abgeschaltet werden – wobei immerhin auch ein mögliches Vorziehen um drei Jahre bereits angedacht war. Pluspunkte waren dafür der schnelle und umfassende Einstieg in den Ausstieg mit größeren Abschaltungen zu Beginn und einem substanziellen Zwischenschritt bereits 2025. Ansonsten sollten die Emissionen stetig sinken, auf die Abholzung des Hambacher Waldes sowie auf die Inbetriebnahme des damals noch im Bau befindlichen neuen Kohlekraftwerks Datteln IV sollte verzichtet werden. Und die dadurch freigewordenen Emissionszertifikate? Die sollten stillgelegt und somit nicht anderweitig genutzt werden können. Auch machte der Bericht umfangreiche Vorgaben, wie die Betreiber der abgeschalteten Kraftwerke zu entschädigen seien und die dadurch betroffenen Regionen mit finanziellen Strukturhilfen unterstützt werden sollten. Der Bericht zeichnete so detailliert eine gesellschaftliche Befriedung des Konfliktes vor.

Die gesetzliche Umsetzung: trotz langem Warten leider zu kurz gesprungen

Es dauerte ein weiteres Jahr, bis ein Gesetzestext zur Umsetzung der Kommissionsvorschläge vorlag, danach weitere fünf Monate bis zum endgültigen Beschluss durch den Bundestag. Seit Juli 2020 ist nun aber endlich klar, dass die Kohleverstromung in Deutschland ein endgültiges Ablaufdatum hat, das spätestens im Jahr 2038 liegt. Doch ist nicht nur dieses Enddatum unzureichend geblieben – auch die begleitenden Rahmenbedingungen sind so verwässert worden, dass aus dem zuvor schon schwer zu tragenden Kompromiss eine große Hypothek für den Klimaschutz geworden ist. Zentrale Punkte sind nämlich anders ausgefallen als in den Empfehlungen der Kommission. Am sichtbarsten: 2020 geht tatsächlich Datteln IV ans Netz, der Kohleausstieg beginnt also mit der Eröffnung eines großen Kohlekraftwerks.

Zwar sollen zum Ausgleich nun verstärkt ältere Kraftwerke vom Netz genommen werden, unterm Strich stehen aber selbst bei den Berechnungen der Bundesregierung Mehremissionen von mindestens 10 Millionen Tonnen CO2. Generell fällt der Stilllegungspfad deutlich zögerlicher aus als in den Empfehlungen der Kommission, es werden nämlich zunächst vor allem Steinkohle- statt der besonders schmutzigen Braunkohlekraftwerke stillgelegt. Zudem bleiben große Blöcke und damit besonders intensive CO2-Emittenten bis kurz vor Ende der Frist am Netz, der Emissionsreduktionspfad erfolgt damit nicht wie angedacht stetig. In einer Stellungnahme befürchten einige Mitglieder der Kommission sogar Mehremissionen von 40 Millionen Tonnen CO2 allein bis zum Jahr 2030, weshalb sich von dieser gesetzlichen Umsetzung distanzieren. Und was sagen die Betreiber der Braunkohlekraftwerke dazu? Die freuen sich über die ihnen zugesagten Entschädigungen in Milliardenhöhe. Zwar waren solche Zahlungen im Gegenzug für den Verzicht auf Klagen durchaus angedacht, angesichts der späten Abschaltungen und des aktuellen eigentlich sehr schwierigen Marktumfeldes für die Braunkohle überraschen diese Summen aber schon. Von dieser Ausgestaltung zeigt sich auch NATURSTROM-Vorstand Banning schwer enttäuscht: „Für die nächste, bereits heranwachsende Generation jedenfalls zeigen die Politiker an der Macht keine Verantwortung, das ist geradezu traurig mitanzusehen. Und dass die Betreiber der besonders schädlichen Braunkohlekraftwerke noch viele Milliarden Euro dafür bekommen, weit in der Zukunft ihre Anlagen abzuschalten und diese bis dahin noch viel zu lange laufen zu lassen, obwohl diese sich im Markt kaum noch lohnen, zeigt einmal mehr die besondere Sympathie der großen Koalition für die alten Konzerne.“

Markt überholt Gesetz: immer weniger Kohle für die Kohle

Nachdem die gesetzlichen Regelungen also eher unzureichend ausgefallen sind, ruht die Hoffnung nun auf dem Markt. Steigende Preise für CO2-Zertifikate, hohe Einspeisung von immer günstiger produzierenden Erneuerbaren-Anlagen sowie die durch Corona bedingte geringere Stromnachfrage haben dafür gesorgt, dass in Deutschland und Europa bereits mehr als die Hälfte der gesamten Elektrizität erneuerbar erzeugt wird. Diese Entwicklung basiert zwar teilweise auch auf einer Sondersituation, aber einige Indikatoren weisen auch auf eine dauerhafte, marktbedingte Verdrängung von Kohlestrom in Deutschland und der EU hin. Der Green Deal der EU und die damit einhergehenden höheren Klimaschutzziele werden für weniger und damit teurere Zertifikate im Emissionshandel sorgen. Gaspreise sind günstig wie nie und verdrängen zunehmend Kohlestrom. Der weitere Zubau Erneuerbarer Energien, der für den Ersatz der ausscheidenden Kohlekraftwerke notwendig ist, wird die Marktsituation für Kohlekraftwerke weiter verschärfen. Das Gute daran: Das Gesetz sieht ausdrücklich keine weiteren Entschädigungen vor, wenn die Betreiber ihre Kraftwerke aufgrund schlechter Erträge früher als vom Gesetz vorgesehen vom Netz nehmen. So können die Mängel des Gesetzes durch marktliche Entwicklungen doch noch korrigiert werden. Der Bau von Solar- und Windenergieanlagen trägt entscheidend dazu bei – nicht zuletzt deshalb errichten wir bei NATURSTROM eigene Öko-Kraftwerke.

Drohende Ökostromlücke: Koalition verschleppt notwendigen Erneuerbaren-Ausbau

Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch 65 Prozent erreichen. © NATURSTROM AG

Mit dem Kohleausstiegsgesetz hat die Bundesregierung die Zielmarke im EEG endlich erhöht: Bis 2030 sollen Erneuerbare Energien nun auch offiziell den eigentlich im Koalitionsvertrag längst vereinbarten Anteil von 65 Prozent am Stromverbrauch erreichen. Allerdings fehlt es hier noch an konkreten Maßnahmen. Während Photovoltaik zuletzt ganz gute Ausbauzahlen vorweist und hier sogar erste Parks komplett ohne Förderung ans Netz gehen, ist der Markt im Windbereich aufgrund gesetzlicher und bürokratischer Hemmnisse komplett eingebrochen. Im Herbst 2019 hat das Wirtschaftsministerium dazu bereits den umfangreichen Aktionsplan Windenergie veröffentlicht – an der Umsetzung hapert es aber noch stark. Banning fordert deshalb „Mut, für die Energiewende und deren Umsetzung einzustehen, auch gegen die Interessen der alten Player.“ Allein Zielmarken ins Gesetz zu schreiben, reiche nicht aus, stattdessen bräuchte es konkret mehr Sonnen- und Windenergieanlagen vor Ort und dafür klare Vorgaben zu den Ausbauzielen für jedes Bundesland und jeden Landkreis. Der vom NATURSTROM-Vorstand eingeforderte Mut hat beim Kohleausstiegsgesetz noch gefehlt, trotz kontinuierlich steigender CO2-Konzentrationen und immer wieder neuer Schreckensnachrichten bei der Erderhitzung. Dabei zeigt die bisherige Entwicklung der Erneuerbaren und die damit verbundene Verdrängung von Kohlestrom: Eine klimaschonende Energieversorgung ist möglich, wenn wir konsequent auf Sonne, Wind, Bioenergie und Co setzen. Das Kohleausstiegsgesetz ist dabei zwar nicht die größte Hilfe, macht aber immerhin die Richtung klar. Lassen wir uns davon nicht bremsen und machen 2038 schon viel früher möglich!

Sven Kirrmann
sven.kirrmann@naturstrom.de

Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.

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