Hambacher Wald: In 40 Jahren nichts gelernt?

Der Hambacher Wald bewegt derzeit zehntausende Menschen in ganz Deutschland. In seinem Kommentar erzählt NATURSTROM-Vorstand Tim Meyer, wieso der Hambacher Wald für die Umweltbewegung so wichtig ist und welche Energie wir aus ihm ziehen müssen. Die Kohle ist es nicht.

1978 war Helmut Schmidt Bundeskanzler. Ich selbst war damals acht Jahre alt, etwas weniger als die Hälfte der heutigen deutschen Bevölkerung noch nicht geboren. Telefoniert wurde mit Wählscheibe – oft genug im Münzfernsprecher. Erst ein Jahr später, im Jahr 1979, fand die erste Weltklimakonferenz statt. Im selben Jahr setzten die Atom-Katastrophe in Three Mile Island und die Ölkrise die ersten öffentlich wahrnehmbaren Signale, dass das seinerzeit weltweit verfolgte Energieversorgungsmodell auch Schwächen haben könnte. Und die Genehmigungsbehörden in NRW wussten schon Ende der 70er, was 2018 sinnvoll sein würde…?

1977 wurde der Tagebau Hambach von der NRW-Landesregierung für das gesamte Abbaufeld landesplanerisch genehmigt. Rund 40 Jahre später hat die Menschheit unzählbare wissenschaftliche Erkenntnisse, gesellschaftliche Veränderungen und neue Technologien hervorgebracht. Die Weltgemeinschaft hat sich nach viel zu langem Ringen auf das Pariser Abkommen verpflichtet und der Klimawandel mit seinen katastrophalen Folgen wird immer sichtbarer Realität. Erneuerbare Energien sind längst die kostengünstigste neue Energiequelle geworden. Sogar die alte Energiewirtschaft gab sich zwischenzeitlich geläutert und hängte sich grüne und innovative Marketingmäntelchen um.

Tim Meyer, Vorstand der NATURSTROM AG.

Tim Meyer, Vorstand der NATURSTROM AG.

Im Hambacher Wald zeigt sich nun, dass sich unter diesen Mäntelchen wenig getan hat und auch die alten Reflexe in der Politik noch wirken. Und dass es auch möglich ist, in 40 Jahren rein gar nichts zu lernen. Denn während 2018 die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung tagt und den Ausstieg aus der Kohle organisieren soll, pochen Tagebaubetreiber und Teile der Politik auf Abbaugenehmigungen aus dem Jahr 1978. Zudem wird ausgeblendet, dass es auch rechtliche Ansatzpunkte gegen den weiteren Abbau gibt. Man bemüht ein einäugiges Legalitätsprinzip und blendet Fragen nach der Legitimität komplett aus. Neubewertung? Fehlanzeige. Abwägung weiterer zukünftiger Gewinne durch Kohleverfeuerung gegen Umweltkosten heute und in der Vergangenheit? Oder gegen die Verständlichkeit von Politik und Glaubwürdigkeit von Energiewende? Nicht erkennbar. Im Gegenteil, es wird sogar systematisch daran gearbeitet, berechtigte Fragen und Protest mit Verweis auf den Rechtsstaat zu delegitimieren.

Auf der anderen Seite stehen die Umweltbewegung und energiebewegte Menschen vor Ort und bundesweit – scheinbar hoffnungslos unterlegen, wieder einmal. Das Vorgehen im Hambacher Wald macht mich wütend, ebenso wie sehr viele Kolleginnen und Kollegen bei NATURSTROM und offenbar zehntausende Menschen in Deutschland. Doch so wütend es uns macht, so stark sollten wir es als Symbol und Mobilisierungschance nutzen. Denn wir haben in den letzten 40 Jahren auch gelernt, was bürgerschaftliches Engagement und unternehmerischer Mut erreichen kann. Ob Atomausstieg oder Durchbruch der erneuerbaren Energien: Beides sind Erfolge der Bürgerinnen und Bürger zusammen mit Vereinen, Verbänden und Unternehmen! Wir brauchen (leider) auch Symbole, um noch breitere Teile der Gesellschaft zu erreichen und weitere Unternehmen auf unseren Weg zu bringen. Hier liegt eine Chance.

Empörung war immer eine wichtige Energiequelle für gesellschaftlichen Protest und Veränderung. Und Empörung ist erneuerbar! Wir können und müssen diese Energie in kreative, friedliche Aktionen, in Kampagnen, in Gespräche im Freundeskreis und mit Kollegen, in Begeisterung für die Energiewende und eine breite gesellschaftliche Diskussion und vor allem in persönliches Handeln umwandeln. Denn jede und jeder kann den Kohleausstieg selbst machen, Fragen stellen und den öffentlichen Druck vergrößern. Diese Energie liefert der Hambacher Wald uns schon heute – lasst sie uns nutzen!

Autor: Tim Meyer, Vorstand der NATURSTROM AG.

naturstrom Team
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1 Kommentar
  • Holger Gärtner
    Gepostet um 01:48h, 03 Oktober Antworten

    Finde auch unverantwortlich den Wald für eine Energiequelle zu opfern die (hoffentlich) eine geringe Lebenserwartung hat als die Bäume alt sind.

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