Die gute Nachricht: Trotz viel Politikwechsel-Rhetorik im und nach dem Wahlkampf wird es energiepolitisch keine grundlegenden Änderungen geben. Einiges dürfte die Energiewende sogar weiter beschleunigen. Aber: An anderen, eher grundsätzlichen Stellen lauern neue Bremsen und Hemmnisse. Vieles bleibt aber Ausgestaltungssache und damit vorerst offen. Eine kommentierende Analyse.
Grundsätzlich bekennt sich die (mit jedem Tag wahrscheinlichere) neue Regierung zu den deutschen und europäischen Klimazielen, insbesondere zur Klimaneutralität 2045. Rhetorisch schwächt der gleichzeitige Verweis auf die globale Dimension der Klimakrise die nationale Verantwortung.
CO2-Bepreisung mit Handbremse
Emissionshandelssysteme sollen zentrales Klimaschutzinstrument bleiben – und das ist auch gut so. Neben dem bestehenden ETS (für Kraftwerke und Industrie) wird der europäische ETS II ab 2027 auch für Wärme und Verkehr eingeführt, allerdings mit Einschränkungen: Es soll dabei nämlich eine „ökonomisch tragfähige Preisentwicklung“ geben, Preissprünge beim Übergang vom bisher geltenden nationalen CO2-Preis zum ETS II sollen vermieden werden. Das ist zwar nachvollziehbar, aber marktverzerrend, denn um wirklich Klimaschutz über diese Instrumente zu erreichen, müssen lenkende Preissignale ungefiltert weitergegeben werden.
Hinzu kommen eine geplante, wenn auch eng begrenzte, Einbeziehung von Emissionsminderung aus außereuropäischen Projekten sowie die Ausklammerung der Landwirtschaft, die die klimaschützende Wirkung weiter abschwächen.
Strompreis sinkt, aber kein Klimageld in Sicht
Statt eines Klimageldes plant die künftige Regierung mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis, den Strompreis zu senken, durch u. a. eine Absenkung der Stromsteuer und Zuschüsse zu den Netzentgelten.
Das entlastet Haushalte und Unternehmen und fördert die Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrieprozessen. Allerdings sind diese Impulse teuer erkauft, haben keine soziale Differenzierung und können auch dazu führen, dass Strom weniger effizient genutzt wird. Darüber hinaus sollen Förderprogramme für Wärme- und Verkehrswende aus den CO2-Einnahmen finanziert werden. Hinzu kommen weitere punktuelle Kompensationen.
Stromsystem: Gas statt Markt
Kohle-, gas- und ölbefeuerte Reservekraftwerke, die eigentlich schon längst abgeschaltet werden sollten und nur noch für Ausnahmefälle, finanziert aus den Netzentgelten, betriebsbereit gehalten werden, sollen künftig in Zeiten hoher Strompreise wieder am Markt teilnehmen können. Außerdem plant die künftige Koalition die Ausschreibung von 20 GW neuer Gaskraftwerkskapazitäten, die „technologieoffen“ ausgeschrieben werden sollen. Diese Technologie- und Mengenfestlegungen verzerren Preissignale und schließen effizientere und nachhaltigere Lösungen aus.
Der beschlossene Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 wird nicht vorgezogen, stattdessen sollen Kohlekraftwerke sogar erst dann vom Netz gehen, wenn ausreichend Gaskraftwerke gebaut sind.
Expert:innen gehen aber von deutlich früheren Abschaltzeitpunkten aus, da sich Kohleenergie nicht mehr lohnt.
Erneuerbaren-Ausbau: kein Neustart, aber Überprüfung – und Reduzierung?
In den letzten Wochen forderten einige Verbände und Konzerne einen „Neustart“ der Energiewende. Gemeint ist damit vor allem eine Verringerung der Ausbaugeschwindigkeiten und ein vermehrtes Setzen auf Gas. Gemeinsam mit anderen Öko-Energieversorgern hat naturstrom klar Stellung dagegen bezogen.
Die künftige Bundesregierung will zunächst ein Monitoring durchführen, das erfassen soll, wie sich der Strombedarf entwickelt, um daraus weitere Ausbaupfade abzuleiten. Eine Reduzierung wäre allerdings nicht nur mit Blick auf das erhoffte Wirtschaftswachstum und den zunehmenden Energiebedarf von Rechenzentren kurzsichtig, sondern birgt auch die Gefahr der dauerhaften Fadenriss beim Erneuerbaren-Ausbaus. Aber nicht nur mit Blick auf die gesetzlichen Mengenziele drohen Verlangsamungen, auch dass der Ausbau künftig stärker mit den Netzkapazitäten synchronisiert werden soll, bietet potenziell Handhabe für Energiewende-Bremser:innen.
In eine ähnliche Kerbe schlägt, dass geprüft werden soll, ob sogenannte Engpassgebiete, in denen (befristet) kein Windenergieausbau mehr stattfinden darf, ausgewiesen werden.
Apropos Windenergie: Auch die von der letzten Regierung verabschiedeten Flächenziele für 2032 sollen genauso wie das jahrzehntelang bewährte Referenzertragsmodell überprüft werden. Neue Photovoltaik-Anlagen sollen nur noch gefördert werden, wenn sie netz- und systemdienlich sind.
All das muss nicht automatisch ein Ausbremsen der Erneuerbaren nach sich ziehen – aber kann es eben. Und um es klar zu sagen:
Der Erneuerbaren-Ausbau ist das bislang das einzige Klimaschutzfeld, in dem es wirklich gut läuft.
Kürzungen hier würden nicht nur das Emissionsreduktionstempo, sondern auch Investitionen in die Modernisierung unserer Volkswirtschaft und in die Unabhängigkeit unserer Energieversorgung verringern.
Aber nicht alles ist schlecht: Die von der Ampel nicht mehr geschaffte Umsetzung der europäischen Erneuerbaren-Richtlinie und damit eine Vereinfachung bei Genehmigungsverfahren soll schnellstmöglich kommen. Auch darüber hinaus sollen Entbürokratisierungen sowie Planungs- und Genehmigungserleichterungen gemeinsam mit den Bundesländern angegangen werden.
Wofür sich die kommende Regierung noch einsetzen will: eine Begrenzung der Pachthöhen, mehr Akteursvielfalt (bei Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing), die Stärkung der Überbauung von Netzverknüpfungspunkten, vereinfachte Direktlieferungsmodelle sowie die Einführung von Investitionsfonds für Energieprojekte.
Besonders wichtig und längst überfällig: Digitalisierung und Flexibilitäten sollen vorangebracht werden. Allerdings gibt es auch Vorhaben, die einem flexibleren Stromsystem entgegenstehen, wie etwa die weitere Privilegierung von Industrieunternehmen, wenn sie möglichst gleichmäßig Strom verbrauchen.
Wie weiter beim EEG?
In der kommenden Legislaturperiode muss der Fördermechanismus des EEG aufgrund europäischer Vorgaben mit einer Erlösabschöpfung kombiniert werden. Einen genauen Plan der wahrscheinlichen künftigen Koalitionäre dafür gibt’s im Vertrag noch nicht, positiv ist aber, dass sie sich zu einem abgesicherten Investitionsrahmen bekennen. Kurzfristig sollen hier marktwirtschaftliche Signale eingeflochten werden, langfristig sollen sich Erneuerbare komplett am Markt refinanzieren, was für die Erneuerbaren aufgrund hoher Investitionskosten generell schwieriger ist und erst in einem sehr viel flexibleren Strommarkt möglich würde. Mehr Marktorientierung ist zwar richtig, aber dann bitte auch Marktsignale bei der Absicherung ernst nehmen und keine neuen Förderungen für Gaskraftwerke etablieren!
Und was ist mit dem „Heizungsgesetz“?
Für den Koalitionsvertrag haben sich die Unionsparteien mit einer „Abschaffung des Heizungsgesetzes“ durchgesetzt, um gleich danach ein neues Gebäudeenergiegesetz zu versprechen. Dabei soll die erzielte CO2-Reduktion im Gebäude die zentrale Stellgröße werden. Gasnetze sollen erhalten bleiben. Die bis Mai 2026 umzusetzende europäische Gebäuderichtlinie soll hingegen abgeschwächt werden.
Auf der Haben-Seite dafür: das geplante Geothermie-Beschleunigungsgesetz, eine Stärkung des Quartiersansatzes, die Erhaltung der Förderung für den nachhaltigen Heizungstausch und die Ausweitung der Unterstützung für den Um- und Neubau von Wärmenetzsystemen sowie die niedergeschriebene Weiterentwicklung von Fernwärme-Regulierungen.
Fazit: zu viel Gaspedal, zu wenig Ökostromschalter
Auch wenn in der Gesamtbilanz der grundsätzliche Kurs fortgesetzt wird, viele gute Details im Koalitionsvertrag enthalten und Klimaschutzziele beibehalten werden: Die starke Energiewende-Orientierung aus der letzten Legislaturperiode wird leider durchaus abgeschwächt.
Der oder die künftige Energieminister:in sollte hier noch einmal ganz genau schauen, welche Optionen wirklich zukunftsfähig sind – übrigens nicht nur in Sachen Ökologie, sondern auch ökonomisch. Denn schließlich sind Erneuerbare längst die günstigsten Erzeugungstechnologien und die Grundlage für eine unabhängige, innovative Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Insofern ist gut, dass Schwarz-Rot auch grundsätzlich die Energiewende weiterverfolgen will. Riesige Ambitionen bei dem Thema lassen sich aus dem Koalitionsvertrag zwar nicht herauslesen, aber das kann sich im kommenden Regierungshandeln hoffentlich noch ändern.
Lust auf mehr Details? Auf unserem Nachrichtenportal für Klimaschutz und die bürgernahe Energiewende energiezukunft findet ihr eine ausführlichere Einschätzung., was uns energiepolitisch in den nächsten vier Jahren erwartet.
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Unterstützt seit Juli 2019 von Berlin aus die naturstrom-Pressearbeit. Schon lange Jahre überzeugter Energiewender, auch beruflich. Unter anderem zuvor bei der Agentur für Erneuerbare Energien mit Kommunikation zu einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt.