„Mehr Druck auf dem Kessel hätte nicht geschadet“ – Sven Kirrmann zum Sommerpaket

Das Sommerpaket ist tot, hoch lebe das Sommerpaket! Was denn nun? Während die eine Hälfte der Beobachter:innen das Sommerpaket für gescheitert (oder zumindest verschoben) erklärte, bejubelt die andere es als Booster für die Energiewende. Wir sprechen mit Sven Kirrmann, politischer Referent bei NATURSTROM, über diesen scheinbaren Widerspruch und die Bewertung aus energiewirtschaftlicher Sicht.

„Gecancelt“, „verschoben“, „abgesagt“ – so beschrieben verschiedene Medien vergangene Woche den Status quo des Sommerpakets. NATURSTROM-Vorstand Dr. Thomas E. Banning hingegen spricht von einem „großen Schritt hin zu einem erneuerbaren Versorgungssystem“. Kannst du bitte mit der Verwirrung aufräumen?

Ganz genau müsste das eigentlich die Regierung und insbesondere das Klimaschutzministerium als Absender der Pakete erklären. Aber in meinem Verständnis sind schon erhebliche Teile des (eigentlich nach dem Osterpaket angedachten) Sommerpakets, insbesondere das Windflächengesetz und die Anpassungen beim Naturschutz, schon mit in den parlamentarischen Prozess des Osterpakets eingeflossen, in dem es vor allem um eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (kurz EEG) ging – und damit auch verabschiedet worden. Allerdings fehlen durchaus noch einige der ursprünglich für das zweite Paket angekündigten Themen. Insbesondere in Sachen Wärme und Effizienz gibt es bisher kaum Anpassungen. Gleichzeitig sind auch die Regelungen des „sommerlichen Osterpakets“ noch lange nicht ausreichend für das Erreichen der nun postulierten, sehr ambitionierten Ziele.

Trotz allem Bedarf an zusätzlicher Weiterentwicklung sind die jetzigen Energiewende-Reformen ein riesiger Schritt nach vorne, da hat unser Chef natürlich recht – und das nicht nur, weil er Chef ist. Mit dem EEG 2023 werden erstmals die Weichen im Stromsystem so gestellt, dass unsere Klimaziele überhaupt in Reichweite kommen, und – trotz aller absolut notwendigen Debatten zu den begleitenden Gesetzen – helfen die Neuregelungen, diese Ziele auch zu erreichen. Entscheidend sind für mich aber nicht einmal die konkreten Gesetzestexte, sondern eher der Wille zur Energiewende, mit dem die Ampel diese und kommende Reformen vorantreibt. Natürlich muss es am Ende auch gute Regelungen geben, aber diese aktive und engagierte Herangehensweise kann gegenüber dem Verschleppen vorheriger Regierungen der wahre Gamechanger werden.

Mit dem sogenannten Osterpaket hat das Wirtschaftsministerium im April 2022 einen Gesetzesentwurf zur Novellierung des EEG 2023 vorlegt. Welche Fortschritte dieser in Sachen Energiewende und Klimaschutz versprach und was aus unserer Sicht noch fehlte, könnt ihr hier nachlesen.

Und wie geht es nun mit dem Sommerpaket weiter?

Ein wirkliches Paket soll es wohl nicht mehr geben, wobei ja ohnehin etwas willkürlich ist, wie man verschiedene Gesetzgebungsprozesse zusammenfasst und labelt. Es soll aber in mehreren Bereichen, insbesondere für den genannten Sektor Wärme, umfangreiche Neuregelungen geben. Und auch im Stromsektor ist die Arbeit ja nicht getan, sondern hat erst begonnen: Schon im neuen EEG selbst werden weitere Novellen angekündigt und die Abgeordneten haben sich selbst und dem Klimaschutzministerium bei dem Beschluss des Gesetzes über einen so genannten Entschließungsantrag neue Hausaufgaben auferlegt, etwa im Bereich Mieterstrom, in dem bisher kaum etwas passiert ist. Ein Thema ist dabei die so genannte Plattform Klimaneutrales Stromsystem, die auch schon im Koalitionsvertrag angekündigt ist. In ihr sollen grundlegende Reformen für das Energiemarktdesign angestoßen werden. Das wird jetzt auch Zeit, denn das aktuelle Marktsystem stammt noch überwiegend aus der Zeit der zentralen Großkraftwerke und passt einfach nicht mehr in eine Welt, in der fluktuierende Erneuerbare die Hauptlast der Versorgung tragen.

Besonders im Hinblick auf neue Flächen für Windenergieanlagen und eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren hatten viele große Hoffnung in das Sommerpaket gesetzt. Ist es dem gerecht geworden?

Das Windflächenbedarfsgesetz ist aus meiner Sicht ganz gut gelungen, wenn auch die Stichtage, bis zu denen die Bundesländer verpflichtend einen gewissen Flächenanteil ausweisen müssen, sehr spät liegen. Hier hätte etwas mehr Druck auf dem Kessel nicht geschadet. Auch dass sogar bis zu 50 Prozent der notwendigen Fläche praktisch bei anderen Ländern eingekauft werden kann, ist mir etwas zu großzügig ausgefallen. Prinzipiell beendet das Gesetz aber endlich die jahrelange Drückebergerei mancher Regionen und Vereine, die zwar kaum offen gegen die Energiewende opponieren, aber der Windenergie als wichtigstem Potenzialträger nie substanziell Raum verschafft haben.

Was die Verfahrensbeschleunigung angeht, fällt die Bilanz gemischter aus. Hier sollte mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetz ein vermeintlicher Konflikt zwischen Artenschutz und Windenergie befriedet werden – endlich! Mal davon abgesehen, dass man grundsätzlich in Frage stellen kann, ob es diesen Konflikt überhaupt so gibt und ob nicht der generelle Flächenfraß unserer Gesellschaft das viel größere Problem ist, sind auch die Detailregelungen nur ein erster Ansatz. Sowohl die neuen Rechtsbegriffe als auch die Vorgaben müssen sich erst in der Praxis etablieren. Hier ist also keine schlagartige Verbesserung zu erwarten, sondern eine hoffentlich kontinuierliche Beschleunigung der Genehmigungsverfahren über die nächsten Jahre. Auch hier muss ich mich aber unserem Vorstandsvorsitzenden anschließen, der schon darauf hingewiesen hat, dass es eben nicht nur auf die bundesgesetzlichen Regelungen ankommt, sondern auch darauf, wie diese mit Leben gefüllt werden. Angesichts einer massiv an Fahrt aufnehmenden Klimakrise, die eben eine enorme Bedrohung für die Biodiversität ist, sollten daher alle Verwaltungsebenen und Akteure konstruktiv die Energiewende als entscheidendes Gegenmittel voranbringen – und dazu auch alle bisherigen und neuen regulatorischen Spielräume ausnutzen.

Ein letztes Wort noch zur Planungsbeschleunigung: Das ist ja etwas, was sich die Ampelkoalition ganz unabhängig von der Energiewende auf die Fahnen geschrieben hat, dazu gibt es auch eine Arbeitsgruppe im Kanzleramt. Neben den energiewendespezifischen Regelungen wie im Artenschutz, bei denen es nun einen ersten Aufschlag gab, der aber sicher auch noch weiterentwickelt werden muss, geht es dabei auch um Themen wie Personalausstattung der Genehmigungsbehörden, Digitalisierung von Antragsprozessen und Abläufe von Gerichtsverfahren. Hierzu sollen in den kommenden Monaten Vorschläge auf den Tisch kommen, die dann auch der Energiewende nutzen können.

Als größtes Versäumnis gilt, dass das Ziel einer klimaneutralen Stromversorgung bis 2035 nicht mehr genannt wird. Hat die Bundesregierung es damit still und heimlich unter den Teppich fallen lassen?

Das ist leider wirklich ein etwas unschöner Aspekt, ich hätte mir eine Beibehaltung dieses Passus als klare Zielmarke und Orientierung gewünscht. Leider hats ich die FDP dagegen gesperrt, wobei sie zurecht anmerkt, dass dies im Koalitionsvertrag nicht vereinbart war. Dennoch wäre das aus meiner Sicht das richtige Signal für die ausgerufene Zeitenwende gewesen, die ja auch ganz erheblich die Energieversorgung berührt.

Wichtiger ist aber wohl ohnehin die Zielmarke von 80 Prozent Erneuerbaren Energien am Strombedarf 2030. In den wenigen verbleibenden Jahren müssen wir nun erstmal schauen, dass wir das schaffen. Außerdem steht im EEG ja weiterhin das Ziel, dass das Stromsystem dann in den Folgejahren klimaneutral werden soll, wenn auch ohne konkretes Zieldatum. Und nicht zu vergessen: Gemeinsam mit den G7-Ländern hat sich Deutschland kürzlich beim Gipfel in Elmau ohnehin schon für 2035 auf ein weitgehend CO2-freies Stromsystem verpflichtet.

Problematischer finde ich dabei, dass nach 2030 – oder genauer nach Vollendung des Kohleausstiegs – ein Ende der EEG-Förderung angestrebt wird. Einerseits ist zwar nachvollziehbar, dass die dann hoffentlich dominierenden Erneuerbaren nicht noch unbedingt weitere Förderungen erhalten sollen. Allerdings geht es dann auch weniger um feste Vergütungen für neue Wind- und Solarparks, sondern eher um sichere Refinanzierungsbedingungen. Denn erstens gibt es die Herausforderung, dass die dann vielen Wind- bzw. Solaranlagen jeweils gleichzeitig ihren Strom einspeisen und sich so die Preise kannibalisieren. Und zweitens sind die einzelnen Erneuerbaren-Technologien sehr unterschiedlich, ein großer Windpark lässt sich kaum mit Solar-Dachanlagen oder mit Bioenergie-Kraftwerken vergleichen. Eigentlich ist Energieerzeugung nie ohne passende staatliche Rahmenbedingungen organisiert worden. Es braucht also nicht unbedingt dauerhafte Förderungen, sondern eher ein passendes Marktdesign! Hier hat die Ampel-Koalition zwar ebenfalls Reformen in Aussicht gestellt, dennoch sollte man diesen Punkt im Auge behalten.

Nochmal zurück zum Osterpaket, über das wir uns ja kurz nach dessen Verabschiedung im April unterhalten hatten. Damals hattest du in Aussicht gestellt, dass gegebenenfalls nochmals Details nachgeschärft werden könnten. Ist das passiert?

Ja, wie eigentlich in jedem Gesetzgebungsverfahren hat das Parlament noch ordentlich nachgearbeitet und in vielen Punkten das neue EEG auch verbessert. Neben den gerade angesprochenen Veränderungen in der Zielarchitektur sind gerade im Bereich Photovoltaik noch positive Änderungen erfolgt, etwa durch eine verringerte Differenz von Überschuss- und Volleinspeisungsvergütungen, vereinfachte Anmeldeverfahren, eine Ausweitung der Flächenkulisse für Solarparks und sogar durch die Einführung von „Garten-PV“.

Auch in Sachen Bürgerenergie gab es kleinere Verbesserungen, hierauf werden Kolleg:innen aus dem Team Bürgerenergie demnächst in unserem Blog aber noch dezidiert eingehen. Neu ist zudem, dass kleine Wasserkraftanlagen doch weiterhin gefördert werden und der Ausbau ebenso wie die anderen Erneuerbaren als „im öffentlichen Interesse“ charakterisiert wird – die Bundesregierung wollte dies aus ökologischen Gründen nicht vorsehen.

Sven Kirrmann ist seit 2019 politischer Referent beim Öko-Energieversorger NATURSTROM.

Ein ganz spannender Punkt ist aus meiner Sicht auch die Neuregelung der Spitzenlastglättung, die schon lange in der Diskussion war, zu der nun aber praktisch in letzter Minute von den Koalitionsfraktionen eine Lösung ins Paket hineinverhandelt wurde. Es geht dabei um die Voraussetzungen, unter denen ein Netzbetreiber die Leistungsaufnahme steuerbarer Verbraucher wie Wärmepumpen oder Ladelösungen für Elektroautos reduzieren darf, quasi also um eine intelligente Netz- sowie Bedarfssteuerung – ein unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende! Die Koalitionsfraktionen haben nun zwar „nur“ die Bundesnetzagentur mit einer entsprechenden Ausarbeitung beauftragt, dabei aber mit einer Präferenz einer marktlichen Steuerung klare Leitplanken gesetzt, die vorher lange umstritten waren.

Sind die bisherigen Beschlüsse jetzt also der große Klimaschutz-Wurf?

Es ist auf jeden Fall ein sehr guter Auftakt, um in dieser Legislaturperiode endlich auf den versprochenen 1,5-Grad-Kurs zu kommen. Im Stromsektor sind nun zumindest die Ziele passend und auch bei den Maßnahmen geht es in die richtige Richtung, auch wenn da weiterhin noch viel nachzuarbeiten ist. Das grundsätzlich proaktivere Handeln der aktuellen Regierung stimmt mich hier aber auch ganz optimistisch. Im Wärme- und Verkehrsbereich ist allerdings noch viel Luft nach oben, hier müssen jetzt dringend Aktivitäten vorangebracht werden. Nach den Versäumnissen der letzten Jahren bleibt uns nur noch sehr wenig Zeit, unsere Energieversorgung und unsere ganze Wirtschaft klimafreundlich auszugestalten, dafür muss auch weiter so unter Hochdruck gearbeitet werden wie im letzten halben Jahr. Mal sehen, was da noch kommt.

Vielen Dank für deine Zeit und deinen wertvollen Input, Sven.

Dominique Czech
dominique.czech@naturstrom.de

ist seit April 2018 dabei und schreibt für naturstrom über alles rund um die Energiewende. Jenseits des Büros bewegen sie die Themen Ernährung, Konsum und Mobilität – aber bitte in nachhaltig.

3 Kommentare
  • Dieter Donner
    Gepostet um 14:34h, 13 Juli Antworten

    Guten Tag, da war der Beitrag wohl etwas u früh und zu optimistisch. Heute haben Habeck und Wissing zwei gegensätzliche „Klima-Präsente“ in ihren Pressekonferenzen präsentiert. Das macht wieder deutlich, dass der „Schwanz (FDP) weiter mit dem „Hund (SPD und Grüne)“ wedelt.
    Solange das so weitergeht und nur Ampel-Staub aufgewedelt wird, dagegen aber notwendige und sofort umsetzbare Maßnahmen – wie Mieter-Solarstrom und die konsequent „dezentrale“ Strom und Wärmeversorgung nicht angepackt wird,
    ist das Scheitern nicht nur bis 2030 vorprogrammiert. Da muss ich leider dem Naturstrom -Chef widersprechen; kein „großer Wurf“
    keine „guter Start“ sondern weiter, tut mir leid, nur „Gegurke, wie gehabt“. Es klingt auch in diesem Beitrag so, als ob die Mitarbeiter sich nicht trauen, den Äußerungen des Chefs eine „eigene Einschätzung“ entgegen zu setzen. Das sollte eigentlich bei Naturstrom anders als bei „Regierungsprecher*innen“ sein, oder? Vielleicht trauen sich ja zumindest noch weitere Kunden, ider unetrschiedlichen Wahrnehmung in Worten Ausdruck zu verleihen. Zeit genug gibt es ja noch, da so schnell weder in Berlin noch in NRW etwas sich zu ändern scheint. Der Druck aus der Bürgerschaft muss weiter hoch bleiben! Danke an alle , die sich hier auch noch melden. Dieter Donner, Naturstrom-Kunde seit mehr als 25 Jahren.

    • Sven Kirrmann
      Gepostet um 13:55h, 14 Juli

      Hallo Herr Donner,
      danke für Ihr Feedback! Ich würde allerdings eher sagen, dass der Beitrag etwas zu spät online ging, das Interview entstand Anfang der Woche und damit noch vor der Veröffentlichung der Klimaschutzprogrammen für Gebäude und Verkehr. Zu diesen gebe ich Ihnen vollkommen recht, dass ist insbesondere im Verkehr viel zu wenig und auch wirklich enttäuschend. In dem Beitrag geht es allerdings vorrangig um das Oster- bzw. Sommerpaket und damit um die Neuregelungen im Stromsektor – dass diese durchaus eine deutliche Weiterentwicklung sind, dabei bleibe ich. Und dass gleichzeitig im Wärme- und Verkehrsbereich noch viel zu tun ist, habe ich ja auch selbst im Fazit betont.
      Zu der Anspielung auf die Kommentierung unseres Vorstandes: Das war eher scherzhaft gemeint, ich würde sicherlich nichts verlautbaren, von dem ich nicht selbst überzeugt bin und es gibt intern keinerlei Denk- und Diskussionsverbote. Da wir bei NATURSTROM allerdings natürlich alle sehr ähnliche Ziele verfolgen, ist es kaum verwunderlich, dass auch die Bewertung der aktuellen Politik sich oft nicht grundlegend unterscheidet.
      Vor diesem Hintergrund kann ich mich Ihnen auch am Schluss anschließen, und das wohl auch im Namen unseres Vorstandes: Zumindest teilweise geht die Politik in die richtige Richtung, das ist aber alles noch lange nicht ausreichend und es braucht in jedem Fall weiter den von Ihnen genannten Druck aus der Bürgerschaft – ich würde sogar weiter gehen und sagen, nicht nur den politischen Druck, sondern auch das eigene Vorantreiben der Energiewende. Bürgerenergie kann und muss wieder zu einem entscheidenden Faktor beim Erneuerbaren-Ausbau werden. Die Rahmenbedingungen dazu wie insgesamt zur Energiewende weiter verbessern, dafür setzen wir uns politisch vorrangig ein.
      Viele Grüße
      Sven Kirrmann

  • Klaus Klaws
    Gepostet um 00:08h, 18 Juli Antworten

    Pakete hü oder hot, Bürgerenergie muss her.
    Klaus Klaws,kgklaws@web.de

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