Gastbeitrag: Von wegen billiger Atomstrom

Die Bundesregierung schafft das Verursacherprinzip ab. Zumindest wenn es um die Folgekosten der Atomenergie geht. In Zukunft haftet der Staat, und damit die Allgemeinheit, wenn die Atommüll-Lagerung teurer wird, als von den AKW-Betreibern erwartet. Mit einem einmaligen Risikoaufschlag können sich die Stromkonzerne von ihrer Verantwortung freikaufen. Ein Gastbeitrag von Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt.

Jochen Stay ist Sprecher der Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt.

Jochen Stay ist Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt. Foto: Bente Stachowske/.ausgestrahlt.

23 Milliarden klingt erst einmal nach einer großen Menge Geld. So viel sollen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall in einen öffentlichen Fonds einzahlen, wenn es nach der Bundesregierung geht. Daraus, so der Plan, wird dann in Zukunft die Lagerung des Atommülls bezahlt.

Zur Erinnerung: In Atomkraftwerken entstehen eine Menge radioaktive Abfälle, die so gefährlich sind, dass sie für rund eine Million Jahre von der lebenden Welt abgeschirmt werden müssen. Ein Lagerplatz, der so lange dicht hält, ist bis heute weltweit nicht gefunden worden.

Was passiert also, wenn das Geld nicht ausreicht? Für diesen Fall ist zukünftig vorgesehen, dass der Staat einspringt, also letztendlich die Allgemeinheit. Damit verabschiedet sich die Bundesregierung vom Verursacherprinzip, einer Säule des Umweltrechts: wer den Schaden anrichtet, muss auch dafür zahlen.

Nun begründet Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Vorgehen damit, dass bei den angeblich notleidenden Stromkonzernen nicht mehr zu holen sei. Dieses Argument ist alleine deshalb schon bitter, weil die Anti-Atom-Bewegung seit Jahrzehnten fordert, den Unternehmen die Gelder abzunehmen, die für die Atommüll-Lagerung benötigt werden. Als die AKW-Betreiber noch reich waren, hat der Staat dies immer wieder abgelehnt.

Kühe weder schlachten noch melken

Doch wie sieht es aktuell aus? Geht es den Unternehmen wirklich so schlecht? Zum einen: es geht ihnen unterschiedlich gut. Aus Gründen der Gleichbehandlung werden jetzt aber alle nur noch so stark zur Kasse gebeten, wie der wirtschaftlich schwächste Konzern, RWE. Zum anderen: noch immer zahlen die AKW-Betreiber an ihre AktionärInnen Milliardensummen an Dividende aus und kündigen für die nächsten Jahre eine deutliche Steigerung ihrer Gewinne an.

Die Politik argumentiert: Wir können doch die Kuh nicht schlachten, die wir noch melken wollen. Sie befürchten die Insolvenz der Firmen, wenn ihnen jetzt zu viel abgenommen wird. Das kuriose am oberflächlich einleuchtenden Milchvieh-Vergleich: nach dem jetzigen Konzept der Regierung soll die Kuh künftig ja gar nicht mehr gemolken werden.

Es gibt ein besser Konzept: Den Stromkonzernen wird jetzt so viel Geld abgenommen, wie sie aufgrund ihrer derzeitigen Leistungsfähigkeit entbehren können, ohne pleite zu gehen. Zusätzlich wird eine gesetzliche Nachschusspflicht etabliert, für den Fall, dass die Kosten der Atommüll-Lagerung steigen und die Unternehmen in Zukunft mit neuen Geschäftsmodellen wieder gutes Geld verdienen. Dann würde zumindest ein Teil der Gewinne immer dann im öffentlichen Fonds landen, wenn dieser leer ist. So könnte verhindert werden, dass die SteuerzahlerInnen alleine haften, während AktionärInnen munter weiter hohe Dividenden kassieren.

Allerdings wird es so nicht kommen, wenn es nach der Bundesregierung geht. Sie will eine vollständige Enthaftung der AKW-Betreiber durchsetzen.

Rechte Tasche – linke Tasche

Damit nicht genug: Da die Konzerne nur Rückstellungen für die Atommüll-Lagerung von 17 Milliarden Euro gebildet haben, ist Teil der 23 Milliarden, die sie jetzt zahlen sollen, ein so genannter Risikoaufschlag von 6 Milliarden. Damit soll ein kleiner Teil der Kostenrisiken abgedeckt werden. Gleichzeitig schafft die Bundesregierung aber die Steuer auf Atom-Brennelemente ab und verschafft Eon, RWE und Co dadurch neue Milliardengewinne. Der Steuerausfall, bis 2022 das letzte AKW vom Netz gehen soll, beträgt ebenfalls 6 Milliarden Euro. Das ist das Prinzip „rechte Tasche – linke Tasche“. Erst nimmt man den AKW-Betreibern das Geld als Risikozuschlag ab, dann gibt man es ihnen als Steuergeschenk wieder. Am Ende bleibt die Allgemeinheit auf den Kosten sitzen und die Konzerne können weiter Dividenden ausschütten.

Die offiziellen Kostenschätzungen für den Abriss der AKW und die Lagerung der radioaktiven Abfälle, die das Bundeswirtschaftsministerium von den Betreiberfirmen übernommen hat, sprechen von 170 Milliarden Euro. Nicht eingerechnet sind dabei erwartbare massive Kostensteigerungen, wie sie bei Großprojekten üblich sind.

Das Märchen vom billigen Atomstrom ist also so oder so vom Tisch. Für die SteuerzahlerInnen gilt allerdings weiter: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann zahlen sie noch heute…

Unser Gastautor
 Jochen Stay ist Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt. Er ist seit über 30 Jahren in der Protestbewegung gegen Atomenergie aktiv und war einer der Initiatoren der Stromwechsel-Kampagne „Atomausstieg selber machen“, mit der die Umweltverbände ab 2006 viele Menschen dazu bewegt haben, sich von den herkömmlichen Stromanbietern abzuwenden.

 

Hintergrundinformationen:

Weiterführende Informationen zum Wegfall der Brennelementesteuer stellt auch der Bundesverband Erneuerbare Energien e.V. auf seiner Internetseite zur Verfügung.

Gastautor_in
presse@naturstrom.de

Unter diesem Profil bloggen die verschiedensten Gastautoren zu den Themen Energie und Umwelt- und Klimaschutz. In ihren Texten werfen sie einen Blick über den Rand der NATURSTROM-Welt. Die Meinung der Gastautoren spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der NATURSTROM AG und der Redaktion wieder.

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